• „Meckern allein reicht nicht, um etwas zu verändern!“

    Interview
    28.Februar 2022
    Dr. Peter Schreiter, Beisitzer des Landesvorstands des Marburger Bund Sachsen, ist Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Klinikums Chemnitz und seit 16 Jahren Mitglied im Betriebsrat (BR). Im Interview mit Kristin Dolk, Pressereferentin beim MB Sachsen, berichtet er anlässlich der anstehenden BR-Wahlen über seine Motivation, die Arbeitsbedingungen in seinem Haus mitzubestimmen, über die Notwendigkeit, sich als Arzt im BR zu engagieren und auch über Vorbehalte, die BR-Mitgliedern begegnen können.
    Dr. Peter Schreiter, BR-Mitglied am Klinikum Chemnitz und Beisitzer des Landesvorstands des MB Sachsen
    Dr. Peter Schreiter, BR-Mitglied am Klinikum Chemnitz und Beisitzer des Landesvorstands des MB Sachsen

    Wie kamen Sie dazu sich im BR zu engagieren?

    Ein Oberarzt meiner Klinik hat mir vorgeschlagen, auf einer Ärzteliste zu kandidieren. Da bis dahin kaum ein Arzt im BR vertreten war, dachte ich: Na gut, hat ja keine unmittelbare Konsequenz und ich unterstütze damit meinen Kollegen, vom dem ich in meiner Anfangszeit in der Anästhesie in Chemnitz viel gelernt habe.

    Warum haben Sie sich immer wieder aufstellen lassen?
    Meckern allein bringt nichts. Mich reizte und reizt es noch immer, mit den Mitteln des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) im Sinne der Kollegen etwas für die Verbesserung oder manchmal auch „nur“ gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen tun zu können. Auch wenn es manchmal schwer zu akzeptieren ist, dass
    der gesunde Menschenverstand und der rechtliche Rahmen oft weit auseinander liegen. Bei Anfragen von Kolleginnen und Kollegen muss ich diese Realität dann auch vermitteln. Das gehört für mich zu den schwierigsten Aufgaben der BR-Tätigkeit.

    Warum sollten sich Ärztinnen und Ärzte für den BR aufstellen lassen?
    Die ärztlichen Belange unterscheiden sich in vielen Punkten von denen der anderen Professionen im Krankenhaus. Ich habe festgestellt, dass selbst in einem engagierten
    BR wenig Wissen über die speziellen Belange des ärztlichen Dienstes vorhanden war. Dadurch wurde es dem Arbeitgeber leicht gemacht, mit dem BR auch Regelungen zum Nachteil der Ärzte abzuschließen. Um ärztliche Interessen zu benennen und dann auch deren Vertretung durch den gesamten BR anzuschieben, bedarf es selbstverständlich einer aktiven Mitarbeit von Ärztinnen und Ärzten in diesem Gremium.

    Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Gründe, warum sich Ärztinnen und Ärzte scheuen, für den BR zu kandidieren – und was würden Sie erwidern?
    Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die befürchten, das Engagement im Betriebsrat kann sich negativ auf die eigenen Perspektiven im Krankenhaus auswirken. Ob eine
    BR-Mitgliedschaft tatsächlich ein Karrierehindernis ist, hängt auch stark von der Akzeptanz durch den eigenen Chefarzt ab. Ich zum Beispiel bin auch als BR Oberarzt geworden. Viele argumentieren, sie hätten keine Zeit für den BR. Ihnen ist oft nicht bekannt, dass man für Sitzungen und notwendige Schulungen freigestellt wird. Es gibt auch Befürchtungen, dass man sich zu wenig mit der Thematik auskennt, um im BR mitzuarbeiten. Ich habe auch als absoluter Laie angefangen. Das Wissen kam durch Schulungen und Learning-by-Doing, und durch die Unterstützung der erfahreneren Mitglieder.

    Gibt es den idealen Zeitpunkt, um BR-Mitglied zu werden?
    Die Zeit nach der Facharztprüfung und der erfolgten Unterschrift unter den neuen Arbeitsvertrag bietet sich an. Dann ist man freier im Tun und im Kopf.

    Wie fit sollte man als BR-Kandidat in Arbeitsrecht & Co. sein?
    Um es mit Lenin zu sagen: Wissen ist Macht. Wenn man etwas nicht selbst weiß, sollte man wissen, wo es steht. Ansonsten steht jedem Betriebsrat auch ein Anwalt seines Vertrauens für konfrontative Angelegenheiten zur Seite. Selbst erfahrene BR-Mitglieder sind keine Anwälte und dürfen keine Rechtsberatung durchführen.
    Wir sind Interessensvertreter und bewegen uns nicht über den Rahmen des BetrVG hinaus.

    Wie zeitaufwendig ist die Betriebsratsarbeit?
    Das hängt vom Ausmaß der organisatorischen Einbindung ab, also das heißt ob man in mehreren Ausschüssen mitarbeitet, gegebenenfalls sogar voll- oder teilfreigestelltes BR-Mitglied ist et cetera. Prinzipiell findet aber BR-Arbeit in der Arbeitszeit statt, wofür es verschiedene Paragraphen im BetrVG gibt, die dann die Freistellung regeln.

    Wie sehen die Kollegen Ihre Arbeit?
    Anfangs überwog ein leicht spöttisches Lächeln. Ich wurde gefragt, ob ich Dienstag wieder zum Kaffeetrinken in den BR gehe… Es gab auch Unverständnis, dass ich statt
    im OP-Saal zu arbeiten an der BR-Sitzung teilnahm – und andere sozusagen „meine“ Arbeit mitmachen mussten. Mittlerweile gibt es aber keine derartigen Stimmungslagen mehr. Vielen ist klar geworden, wie wichtig eine Interessensvertretung von Ärztinnen und Ärzten in diesem Gremium auch für sie selbst ist.

    Entstanden Ihnen Nachteile aus der BR-Arbeit?
    Ich erinnere mich an diesen Spruch im Bewerbungsgespräch: „Aufgrund ihrer engagierten BR-Tätigkeit halten wir sie für eine Oberarztstelle in unserem Haus für ungeeignet.“ Ich habe mich kurz geärgert – und dann gedacht, dass dies ja das schönste Kompliment ist, das man für seine BR-Arbeit bekommen kann. Meine
    Patienten konnte ich auch als Facharzt gut versorgen. Und wurde ja dann doch oder gerade deshalb noch Oberarzt...

    Wem würden Sie vielleicht auch davon abraten, zu kandidieren?
    Für Kollegen oder Kolleginnen, die sich noch in der Weiterbildung befinden, einen dem BR kritisch gegenüberstehenden Chefarzt haben und auf die Absolvierung
    eines Leistungskatalogs für die Anmeldung zur Facharztprüfung angewiesen sind, kann es leider riskant sein, sich in der Mitarbeitervertretung zu exponieren. Weiterhin
    lebt die BR-Arbeit von der gleichberechtigten Zusammenarbeit aller Professionen. Wer damit Schwierigkeiten hat, sollte sich dessen bewusst sein.

    Was haben Sie im BR an Ihrem Klinikum erreicht?
    Wir haben einen Haustarifvertrag für die Ärzte 2007 abschließen können. Es ist uns gelungen, den BR zu überzeugen, keine Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber
    abzuschließen, die nur partielle Regelungen zur Arbeitszeit im Zusammenhang mit OPT-OUT im Interesse des Arbeitgebers enthalten hätte. Weiterhin gibt es inzwischen
    eine ganze Reihe von Betriebsvereinbarungen, die die Rechte der Mitarbeiter im konkret betrieblichen Rahmen genau definieren und dadurch die Arbeitsbedingungen
    verbessern. Mittlerweile wird der BR auch mit ins Boot geholt, wenn es Probleme in einzelnen Teams gibt. Ein weiteres Feld ist die Kontrolle der Einhaltung der zwei in unserer Klinik geltenden Tarifverträge des MB und Verdi. Schließlich ist ein Tarifvertrag immer nur so viel wert, wie davon auch umgesetzt wird.

    Wie unterstützt der MB Sachsen erfahrene und neue BR-Mitglieder?
    Der MB Sachsen steht über die Geschäftsstelle jederzeit für Anfragen zur Verfügung. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter koordinieren die Kontaktaufnahme zu den Vorstandsmitgliedern. Einige von uns sind seit vielen Jahren BR-Mitglied. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass zum Beispiel unser
    Geschäftsführer und Jurist Steffen Forner als Gastreferent an Betriebsversammlungen etwa über Themen des Arbeitsrechts informiert. Damit können wir den MB und die Themen der Ärzteschaft im BR breiter erlebbar machen und so stärken. Darüber hinaus können über den MB Sachsen Kampagnen- und Informationsmaterialien
    zur BR-Wahl bestellt werden. Der Marburger Bund bietet auch Schulungen zur Betriebsratsarbeit für erfahrene und neue BR-Mitglieder an. Damit verfügen BR-Mitglieder sozusagen über das Grundrüstzeug für die Betriebsratsarbeit.

    Wie sehr ist Ihnen die BR-Arbeit nach 16 Jahren ans Herz gewachsen?
    Zusammenfassend kann ich sagen, dass die BR-Arbeit noch immer Spaß macht. Es gibt wie bei allen Dingen gute Zeiten und auch Phasen, in denen ich mich frage, wie lange ich das eigentlich noch machen will. Letztendlich überwiegt jedoch immer noch mein Credo der ersten Wahlperiode: Meckern alleine reicht nicht, wenn es Möglichkeiten gibt, etwas zu verändern!