• Umgang mit Fehlern – ganz klar ein Fehler im System

    Ärztinnen und Ärzte sind Menschen – und wo Menschen arbeiten, passieren bekanntlich Fehler. Der Marburger Bund Sachsen hat seine Mitglieder im Februar 2023 gefragt, wie in sächsischen Krankenhäusern und Arztpraxen mit diesen Fehlern umgegangen wird.

    Der Verband setzt sich seit über einem Jahr mit Fortbildungen und in der Gremienarbeit für die Enttabuisierung von Fehlern in der Medizin ein. Am 2. Juli trat nun das neue Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Es stärkt auch die Rechte von Ärztinnen und Ärzten, die auf einen Missstand in ihrem Arbeitsbereich aufmerksam machen. Auf Antrag des MB Sachsen begrüßte die MB-Hauptversammlung des Bundesverbandes am 13. Mai das vollendete Gesetzgebungsverfahren zum Hinweisgeberschutzgesetz und forderte dessen konsequente Anwendung und Kontrolle. Wie notwendig es ist, dass Ärztinnen und Ärzte Missstände und (Beinahe-)Fehler ohne Furcht vor Repressalien melden können, zeigen die Ergebnisse der dem Antrag vorausgegangenen Umfrage des Marburger Bundes Sachsen.

    Infos zum Umgang mit Fehlern fehlen

    Die Aussage, dass in Krankenhäusern eine offene Fehlerkultur etabliert ist, verneinte rund die Hälfte der 386 Ärztinnen und Ärzte, die an der Umfrage teilnahmen. Nicht einmal jeder Vierte von ihnen fühlt sich vom Arbeitgeber sehr gut oder gut darüber informiert, wie im Falle unerwünschter Ereignisse überhaupt vorzugehen ist.
     

    Fehlermeldesysteme: Keine gelebte Praxis

    Die Ursachen für (Beinahe-)Fehler oder sogenannte unerwünschte Ereignisse in der Medizin liegen häufig in den zugrundeliegenden Prozessen. Medizinische Einrichtungen müssen Fehlermeldesysteme wie z. B. das Critical Incident Reporting System (CIRS) vorhalten, um Fehler zu erfassen, zugrundeliegende Prozesse zu analysieren und wenn notwendig anzupassen.
    Lediglich 16 Prozent der Befragten hat die eigenen (Beinahe-) Fehler immer oder häufig in einem solchen Fehlermeldesystem dokumentiert. Eine mögliche Ursache dafür: Nach den Erfahrungen der Umfrageteilnehmer
    verfehlen diese Meldesysteme ihren Zweck. 40 Prozent der Befragten wissen nicht, wie gemeldete Fehler bearbeitet werden. Nur 27 Prozent geben an, dass der dem Fehler zugrundeliegende Prozess vom Qualitätsmanagement analysiert wird. Eine Information über Prozessveränderungen, die aus Fehlermeldungen resultieren, erfolgt nur bei 16 Prozent der Befragten. 14 Prozent beantworten die Frage, ob gemeldete (Beinahe-)Fehler strukturiert bearbeitet werden, mit „nein“. Jeder Fünfte gibt gar an, dass es nicht erwünscht ist, Fehler zu melden.
    Der Großteil der Befragten (85 Prozent) diskutiert ihre (Beinahe-)Fehler immer oder häufig mit den Kollegen. Der Anteil derer, die ihre Fehler immer oder häufig an den Vorgesetzen melden, liegt bei rund 62 Prozent. Rund sieben Prozent der Umfrageteilnehmer behalten Fehler häufig oder immer für sich.
     

    Angst vor Fehlern führt zu Stress

    Trotz der Aussprache im Team ist der offene Umgang mit Fehlern in medizinischen Einrichtungen keine Selbstverständlichkeit: Jeder dritte Befragte steht in der Zusammenarbeit mit fehlerintoleranten Vorgesetzten oder Kollegen unter Stress. Die Angst, einen Fehler zu machen, belastet mehr als die Hälfte der Befragten etwas,
    14 Prozent sogar stark. 13 Prozent geben an, dass sie aus Angst vor eigenen Fehlern bei der Patientenbehandlung zögerlich oder unsicher agieren.
    Fast jeder Fünfte vermeidet bestimmte Entscheidungen aus Angst, einen Fehler zu machen. Beinahe jeder vierte Befragte gibt an, dass das Eingestehen von Fehlern im Sinne einer vom GBA geforderten offenen Fehlerkultur Repressalien wie unsachliche Kritik, Beleidigung oder Mobbing zur Folge hat.
     

    Fehlerintoleranz gefährdet Patienten

    43 Prozent der Befragten haben beobachtete Missstände in medizinischen Einrichtungen aus Angst vor Repressalien nicht gemeldet. Ein anonymes Hinweisgeberschutzgesetz halten 90 Prozent der Beteiligten für notwendig. „Um aus Fehlern und unerwünschten Ereignissen lernen zu können, dürfen diese weder tabuisiert werden, noch darf der offene Umgang mit ihnen zu Nachteilen führen. Fehlermeldesysteme sind zahnlose Bürokratietiger, wenn sie nicht durch transparente Information in den Praxis- und Klinikalltag integriert werden“, findet Torsten Lippold, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes Sachsen. Gleichzeitig betont er, dass die anonyme Meldung von Fehlern an externe Stellen erleichtert werden muss: „Das neue Hinweisgeberschutzgesetz muss die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Gesundheitswesen tatsächlich dabei unterstützen, die Patientensicherheit zu verbessern!“