
Ich glaube, dass wir das einfach eine lange Zeit verschlafen haben. Es gibt viele resiliente Menschen im Gesundheitssektor, aber auch wir sind „nur“ Menschen. In der Vergangenheit war es oft so, dass man das Problem einfach für sich behalten hat – der Glaube war, dass man als Arzt oder Ärztin immer stark sein muss. Dieser Gedanke war so tief verwurzelt, dass man die eigene psychische Gesundheit hintenangestellt hat. Es war lange ein Tabu, Schwäche zu zeigen oder über die eigene Belastung zu sprechen. Der Gedanke war: Wir sind die Helfer, die Stabilität bieten, und Schwäche zeigt nur, dass man nicht gut genug ist. Aber das ist ein falsches Bild. Empathie und Verletzlichkeit gehören auch dazu, und es ist wichtig, diese Seite zu zeigen, um sich selbst und andere besser zu verstehen.
Die größte Herausforderung ist, dass jedes Krankenhaus einen anderen Träger hat und es keine gesetzliche Grundlage für diese Art von Unterstützung für Menschen im Gesundheitswesen gibt. Jeder muss immer wieder neu überzeugt werden, warum das sinnvoll ist. Aber die Menschen, die sich dann damit auseinandersetzen, merken, dass es sinnvoll ist. Gleichzeitig wissen die Kliniken auch nicht, wo sie zuerst hinlangen sollen.
Vielleicht könnte man das im Präventionsgesetz ändern oder Zertifizierungs-Anforderungen an Kliniken stellen. Es gibt bereits Empfehlungen von Fachgesellschaften, dass es zur Ausstattung von Notaufnahmen und Intensivstationen gehört, aber es muss umgesetzt werden. Der Weg dahin ist noch weit.
Eher weniger Vorurteile, aber es gibt Hemmnisse. Es gibt die Vorstellung, dass man das einfach selbst aushalten muss. Ich habe diesen Beruf gewählt, das gehört dazu. Damit muss ich selber klarkommen. Wir sind auch so getacktet, dass wir wenig Zeit haben, innezuhalten und uns auszutauschen. In den letzten Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen stark verändert und es gibt immer weniger Raum für Pausen und persönlichen Austausch.
Der Kontakt ist sehr unterschiedlich. Der Gedanke ist, möglichst niederschwellig zu arbeiten. Oft kommen die Kollegen auf uns zu. Aber wir gehen auch auf sie zu, wenn wir merken, dass sie Unterstützung brauchen. Wichtig ist, dass dies als normal und nicht außergewöhnlich wahrgenommen wird. Es sollte als selbstverständliche Hilfe verstanden werden, nicht als etwas, wofür man sich schämen muss. Wenn man mit Leuten spricht, die zum Beispiel bei außergewöhnlichen Einsätzen dabei waren, die bereits Jahre her sind, sagen mir diese Menschen: „Darüber haben wir nie gesprochen.“ Aktuell ist das nach dem Anschlag in München wieder so, dass viele Gespräche sich nicht auf diesen beziehen, sondern auf den Amok-Lauf am OEZ 2016. Das hängt einfach nach. Aber man darf es nicht aufbauschen. Also auch da ist es ja eine Balance, Dinge nicht unter den Teppich zu kehren, aber auch nicht zu pathologisieren. Diese Situationen, die wir als Ärztinnen und Ärzte erleben, sind eine Herausforderung, ebenso aber auch die Erfahrung zu machen, sie zu meistern. Das ist unglaublich wertvoll. Dieses Ereignis, hast du gespürt, du hast es gemeistert. Du bist weiterhin, und das ist auch ein wichtiges Wort dabei, in deiner eigenen Selbstwirksamkeit. Diese Aufarbeitung bleibt bei einem selber im Sinne von: Ich meistere diese Sachen und darf auch stolz darauf sein.
Das ist entscheidend. Wenn PSU-Peer-Support strukturell eingebunden ist, wissen die Mitarbeitenden, dass sie sich auf diese Hilfe verlassen können. Der Arbeitgeber zeigt seine Wertschätzung und Fürsorgeverantwortung seinen Mitarbeitern gegenüber. Wenn es gut eingebaut ist, wird es auch von den Kollegen als Teil einer positiven Unternehmenskultur wahrgenommen.
Es sind mittlerweile etwa 30 Kliniken, die solche Angebote implementiert haben. Die Uniklinik Erlangen hat sogar einen Innovationspreis für die nachhaltige Implementierung von Peer-Support erhalten. Das zeigt, dass es auch Anerkennung für diesen Ansatz gibt.
Ja, das System wächst und verbreitet sich zunehmend auch über die Grenzen Bayerns hinaus, insbesondere nach Nordrhein-Westfalen. Das Ziel ist es, das Modell in mehr Kliniken und Regionen zu etablieren.
Es ist oft so, dass gerade nach einem belastenden Ereignis, in dem der Mensch zunächst in einer schützenden „Coping-Strategie“ arbeitet, um zu funktionieren, später emotionale Reaktionen auftreten. Die Menschen möchten dann nach außen hin stark bleiben, aber innerlich kämpfen sie mit ihren Gefühlen. Das kann dazu führen, dass sie einige Zeit später – manchmal erst nach Tagen oder Wochen – feststellen, dass sie emotional anders reagieren. Manchmal verstehen sie nicht, warum sie so reagieren, und
dann wird es wichtig, dass sie darüber sprechen als „öffnende Copingstrategie“.
Es ist wichtig, den Leuten zu vermitteln, dass das, was sie erleben, eine normale Reaktion auf ein nicht-normales Ereignis ist. Oft haben Menschen Angst, dass sie krank sind oder etwas Falsches machen. Aber eine posttraumatische Belastungsstörung wird erst nach vier bis sechs Wochen diagnostiziert. Zuvor ist es eine angemessene Belastungsreaktion. Wenn jemand, der immer funktioniert hat, plötzlich feststellt, dass er überflutet ist oder nicht in der Lage ist, zu handeln, fühlt sich das sehr beunruhigend an. Zu wissen, dass diese Reaktionen normal sind, hilft, die Situation besser zu verstehen und mit ihr umzugehen.
Ja, die Generation Z etwa ist viel offener für Gespräche über psychische Gesundheit. Sie hat viel mehr Therapieerfahrung und spricht offener über ihre Themen. Frühere Generationen haben oft ihre Verletzlichkeit versteckt, aber heute erkennen viele, dass das auch ein Teil ihrer menschlichen Erfahrung ist. Die ältere Generation hat gelernt, ihre Emotionen zu unterdrücken und nicht darüber zu sprechen. Es gibt eine
Veränderung, bei der auch Ober- oder Chefärzte erkennen, dass sie verletzlich sind, und dies in einem geschützten Raum ansprechen können. Es geht aber weniger darum, viel zu reden, sondern vielmehr darum, sich gegenseitig zu unterstützen und zu zeigen, dass man füreinander da ist. Die Solidarität ist das, was es eigentlich zu fördern gilt. Da wären wir schon wieder beim Motto des MB Bayern: Besser zusammen!
Das ist sicherlich der Fall. Die jüngeren Generationen thematisieren das mehr und mehr, und es gibt auch Initiativen, um psychosoziale Unterstützung in die medizinische Ausbildung zu integrieren. Es geht nicht nur um das Erlernen von Fachwissen, sondern auch um die Frage, wie man die verschiedenen Rollen, die man im Leben einnimmt, miteinander in Einklang bringt.
Peer-Support versteht sich als ein unterstützendes System unter Kollegen, die ähnliche Erfahrungen und Herausforderungen teilen. Es ist nicht nur ein externes Hilfsangebot, sondern gehört zur ärztlichen Profession. Der Peer-Support hilft, sich nicht nur mit den fachlichen, sondern auch mit den emotionalen Anforderungen der Arbeit auseinanderzusetzen. Es gibt eine niederschwellige, vertrauliche Unterstützung, bei der Mitarbeiter wie Pflegekräfte, psychosoziale Fachkräfte und Ärzte mit Erfahrung zur Verfügung stehen. Das Ziel ist es, Entlastung zu schaffen und zu verhindern, dass die belastenden Erlebnisse weiter die psychische Gesundheit beeinträchtigen. Für alle Kolleginnen und Kollegen sowie ausgebildete Peers steht ebenso die PSU-Helpline zur Verfügung.
Der wichtigste Schritt ist, es normal zu finden, sich Hilfe zu holen. Man muss es als Teil der beruflichen Verantwortung verstehen, dass man sich um seine eigene psychische Gesundheit kümmert, genauso wie man sich um die Gesundheit der Patienten kümmert. Das sollte genauso selbstverständlich sein wie das Einhalten von Hygienestandards oder medizinischen Vorgaben.