• Absturz in unkontrollierbare Krise droht

    Gewaltiges Klinikdefizit in NRW wächst pro Monat um weitere 140 Millionen Euro
    20.Juni 2023
    Düsseldorf. Mitten im Sommer stellen sich die nordrhein-westfälischen Krankenhäuser auf einen eiskalten Herbst und Winter ein. Weil die Bundesregierung weiterhin keinen ausreichenden Inflationsausgleich zahlt, treiben viele Häuser in eine existenzgefährdende finanzielle Schieflage. „Die unaufhörlich wachsenden Defizite der NRW-Krankenhäuser türmen sich zu einer erdrückenden Last auf, die viele Krankenhausträger nicht mehr lange schultern können“, sagt Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW). „Allein für die Kliniken im bevölkerungsreichsten Bundesland zeigt die seit Anfang 2022 zählende Defizit-Uhr schon ein angesammeltes Minus von rund 1,6 Milliarden Euro an. Und es steigt Monat für Monat um weitere 140 Millionen Euro."

    "Wenn die Bundesregierung nicht schnell und wirksam eingreift, beschleunigt sie die sich bereits drehende Abwärtsspirale für die Krankenhäuser. Doch statt zu handeln und ein unkontrolliertes Kliniksterben zu verhindern, beklagt der Bundesgesundheitsminister das durch sein Nichtstun selbst verursachte Desaster. Er könnte es aufhalten, er müsste es aber wollen. Diese Bundesregierung hat es in der Hand, die Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger zu erhalten oder in eine unkontrollierbare Krise abstürzen zu lassen.“

    Bundesweit wird das Defizit aller Krankenhäuser die Marke von zehn Milliarden Euro erreichen, wenn nichts geschieht. Allein in NRW werden dann mehr als zwei Milliarden Euro ungedeckte Inflationslasten auf der Defizit-Uhr stehen, die jetzt auf der KGNW-Webseite läuft (www.kgnw.de).

    In diese Summen sind die von der Bundesregierung gewährten Hilfen bereits eingerechnet. Immerhin sechs Milliarden Euro hatte sie im Hilfspaket für die Folgen des Krieges in der Ukraine für die Krankenhäuser versprochen. 1,5 Milliarden Euro wurden pauschal verteilt, die restlichen 4,5 Milliarden Euro hat die Bundesregierung aber hinter unüberwindbaren Hürden versteckt.

    Jetzt will sie diesen Fehler heilen und weitere 2,5 Milliarden Euro bis 2024 ausschütten. Auch diese Summe ist bereits in der Defizit-Rechnung berücksichtigt, weil nur die gesetzliche Umsetzung aussteht. Morell betont: „Das ist eine wichtige Hilfe für die Krankenhäuser. Aber sie reicht angesichts des bundesweit aufgelaufenen Defizits nicht aus, die Krankenhäuser zu stabilisieren.“

    Ausreichende Refinanzierung ist gesetzliche Pflicht der Bundesregierung

    Der KGNW-Präsident verweist auf die jetzt in den Krankenhäusern laufenden Wirtschaftsplanungen für das kommende Jahr, für das die meisten Geschäftsleitungen hohe Verluste einkalkulieren müssen: „Viele Krankenhausträger müssen sich inzwischen mit dem Insolvenzrecht befassen, weil sie das erwartete Minus nicht mehr schultern können“, warnt Morell.

    „Seit Anfang des vergangenen Jahres haben wir die Bundesregierung und insbesondere den Bundesgesundheitsminister vor dem jetzt erkennbaren kalten Strukturwandel gewarnt. Der Handlungsbedarf ist klar, die Handlungsmöglichkeit ist klar. Die Erzählung des Bundesgesundheitsministers, nur seine Krankenhausreform könne die Kliniken vor der drohenden Insolvenz retten, gaukelt den Bürgerinnen und Bürger ein Trugbild vor. Bis eine Reform in einigen Jahren greifen könnte, dürften sehr viele Krankenhäuser – und zwar auch große Standorte – vom Netz gegangen sein.“

    Zugleich weist Morell darauf hin, dass bei einem drohenden Rückzug freier Träger die Städte und Gemeinden in der Pflicht seien, die Daseinsvorsorge für ihre Einwohner aufrecht zu erhalten. „Die Prognose des neuen Krankenhaus Rating Reports, dass vier von fünf Kliniken – 80 Prozent – im kommenden Jahr ein negatives Finanzergebnis erzielen werden, unterstreicht die Notwendigkeit für ein Vorschaltgesetz: Es muss kurzfristig eine angemessene Refinanzierung für die Krankenhäuser bereitstellen. Diese zu gewährleisten, ist die gesetzliche Pflicht der Bundesregierung. Nur darum geht es. Die zugelassenen Plankrankenhäuser sind nach Maßgabe des Landes aktuell bedarfsnotwendig. Das darf der Bund nicht über einen eiskalten Strukturwandel ausdünnen“, erklärt der KGNW-Präsident.

    Wenn Ende des Monats wieder die Gesundheitsministerinnen und -minister von Bund und Ländern über eine gemeinsame Krankenhausreform verhandeln, müsse auch die absehbare Notlage der Krankenhäuser auf die Agenda gebracht werden, fordert Morell. „Der gefährliche Sog der Abwärtsspirale lässt sich nicht mehr lange stoppen. Handeln Sie jetzt, Herr Minister Lauterbach!“

    Hintergrundinformation

    Die Krankenhäuser können auf die enormen Preissteigerungen für Energie, Lebensmittel, Medizinprodukte oder auch Dienstleistungen nicht durch eine Anpassung der Vergütung reagieren. Für sie wird im Voraus eine erwartete Kostensteigerung festgelegt, die dann ein Jahr unveränderlich gilt. Für 2022 wurden 2,32 Prozent Kostensteigerung angenommen, die Inflation lag im Jahresdurchschnitt 6,9 Prozent.

    Allerdings lag im Bereich der Krankenhäuser, die energieintensive Unternehmen sind, die Kostensteigerung teils deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das setzt sich auch 2023 fort: Immerhin 4,32 Prozent höhere Kosten können die Krankenhäuser geltend machen, die Inflation lag Anfang des Jahres mit 8,7 Prozent aber noch doppelt so hoch (Quelle: Destatis).