„Aus meiner Sicht müssen Ärztinnen und Ärzte weiterhin eine einzelfallbezogene Entscheidung zur priorisierten Verteilung von vorhandenen medizinischen Ressourcen gerade in pandemiebedingten Ausnahmesituationen treffen können, ohne dass sie sich mit dieser Zuteilungsentscheidung rechtlichen Risiken aussetzen.“ Ein „‚First come, first serve-Grundsatz“ sei weder ethisch begründbar noch mit der Realität in deutschen Krankenhäusern vereinbar, sagte der westfälisch-lippische Kammerpräsident.
„Es muss die Möglichkeit bestehen, beispielsweise einen Patienten, der auch nach langer Beatmungszeit nur noch geringe Überlebenschancen hat, palliativ zu behandeln, wenn ein neu hinzukommender mit besseren Chancen dessen Bett dringend zur nur kurzfristigen intensivmedizinischen Behandlung benötigt. Die Letztverantwortung dafür sollte immer die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt haben. Wir dürfen das ärztliche Handeln und die ärztliche Entscheidungsfindung nicht fundamental in Frage stellen.“
Das Spannungsfeld zwischen ärztlichem Handeln und juristischem Rahmen begleitet laut Dr. Hans-Albert Gehle die Ärzteschaft ein ganzes Berufsleben lang. Einerseits seien Ärztinnen und Ärzte nur ihrem eigenen Wissen und Gewissen verpflichtet, andererseits gebe es gesetzliche Verpflichtungen, die auch Ärztinnen und Ärzte beachten müssten. Die Diskussionen über Sterbehilfe und Schwangerschaftsabbruch hätten in der jüngsten Vergangenheit dieses Dilemma im ärztlichen Handeln zwischen Gewissen und Gesetz besonders deutlich gemacht.