Wenn jedoch die nötigen Abstände gewahrt werden können, wäre eine Maskenpflicht im Unterricht weniger sinnvoll und doch eher übertrieben? Wäre ein Schichtbetrieb mit einem wöchentlichen Wechsel von Präsenz- und Videolernen nicht sinnvoller?
Und wie verhält es sich mit den Hygienekonzepten, mit dem Zugang zu den Klassenräumen in den Schulen, dem Zustand der sanitären Einrichtungen oder mit den Pausenbereichen, wenn Schüler aller Klassen dort zusammenkommen? Hilft im Unterricht nicht besser eine ständige Belüftung der Klassenräume? Manche Schulen meldeten bereits, dass sich seit Jahren defekte Fenster in den Klassenräumen gar nicht öffnen ließen.
Was ist, wenn der Ernstfall eintritt? Gibt es bei Infektionsfällen eine gestufte Notfall-Strategie? Gehen einzelne Klassen in Quarantäne, ganze Jahrgangsstufen oder müssen die Schulen wieder komplett geschlossen werden, wenn erste Schüler oder ein Lehrer, der in etlichen Klassen tätig ist und im Kollegium weitere Kontakte hat, infiziert sind? Dazu war aus der Politik mitunter leider bisher wenig zu hören. Schulen beklagen allzu oft, in diesen Fragen seit Monaten alleine gelassen worden zu sein. Die Masken sollen es nun richten?
Die aktuelle klare politische Entscheidung der nordrhein-westfälischen Landesregierung für eine Maskenpflicht in den Unterrichtsstunden hat - unabhängig von der Debatte um deren tatsächliche Wirksamkeit - eine Kontroverse in den Medien hervorgerufen, kein Wunder, denn kein anderes Bundesland geht flächendeckend so weit.
Eine strikte Maskenpflicht für Schüler im Unterricht, macht das überhaupt - auch angesichts der aktuell übervollen Strände, Badeseen und Hotspots in den Innenstädten - wirklich einen Sinn oder ist es eher eine vermeidbare Behinderung der nötigen Verständigung im Unterricht? Diese Frage spaltet die Lehrerschaft, die Lehrerverbände, die Eltern, die Schüler, die Psychologen und Ärzte.
„Ich glaube tatsächlich auch, dass eine Maskenpflicht im Unterricht nicht sinnvoll ist, wenn denn die Abstände von 1,5 Metern richtig gewahrt werden können“, erklärte Michael Krakau, 1. Stellvertretender Vorsitzender des Marburger Bundes NRW/RLP, in der „Aktuellen Stunde“ des WDR. „Eine Maskenpflicht für den ganztägigen Unterricht stelle ich mir für die Schüler extrem schwierig vor.“
Die Maskenpflicht sei für Kinder ohne Frage eine Belastung, meint hingegen der Direktor der Kinderklinik im Klinikum Dortmund, Prof. Dr. med. Dominik Schneider. „Aber da es nachgewiesen ist, dass Jugendliche ein höheres Infektions-Weitergabe-Risiko als kleine Kinder haben, ist sie richtig und angemessen."
In einem offenen Brief an Ministerin Yvonne Gebauer warnen über 100 Mediziner und Lehrern, vor negativen Folgen auf die Entwicklung und Psyche der Kinder. Für junge Schüler sei es sehr wichtig, Gesicht und Mimik ihres Gegenübers sehen zu können.
Um das Infektionsrisiko zu vermindern, seien pragmatische Lösungen gefragt. „Masken in Aufenthaltsräumen und auf Schulhöfen können nützlich sein. Während des Unterrichts beeinträchtigen sie jedoch die Aufmerksamkeit, weil sie auf Dauer körperlich belastend sind. Sinnvoller ist es, besonders große Klassen zu trennen. Wir brauchen eine Bestuhlung mit möglichst großem Abstand, ausreichend Waschbecken und natürlich Seife für die Handhygiene sowie feste Zeiten für regelmäßiges Lüften“, äußerte sich der Präsident der Bundesärztekammer Dr. med. Klaus Reinhardt. Außerdem sollten Länder und Kommunen Möglichkeiten für regelmäßige Corona-Tests von Lehrern und Erziehern durch die Gesundheitsämter schaffen.
Lehrerverbände bezeichnen derweil die umstrittene Maskenpflicht im Unterricht auch als pädagogisch unsinnig. Es fehlten zudem zusätzliche Räumlichkeiten, um tatsächliche Mindestabstände im Unterricht zu wahren, beklagt die Opposition im Düsseldorfer Landtag. Regelunterricht wird in NRW zum reinen Wunschdenken. Da jeder fünfte Lehrer zur Risikogruppe zählt, scheint regelhafter Unterricht für alle Schüler ohnehin kaum denkbar.
Dass Infektionsfälle in Schulen nach den Ferien auftreten werden, ist selbst mit einer Maskenpflicht durch die allgemeine Zunahme der Corona-Fallzahlen wohl unweigerlich zu erwarten. Im Einzelfall werden dann wieder unterbesetzte Gesundheitsämter entscheiden müssen, wie in der betroffenen Schule mit der Situation umgegangen werden muss.