„Beginnend bei den trotz neuer Pandemiewellen abrupt beendeten Ausgleichzahlungen seit Ostern und den Ende Juni gestrichenen Behandlungsaufschlägen bis hin zu den buchstäblich in letzter Minute mit heißer Nadel gestrickten Hilfspaketen gegen den dramatischen Kostenanstieg in allen Bereichen. Die Serie kurzatmiger Beschlüsse ist bis Jahresende nicht abgerissen“, bilanzierte Ingo Morell.
Zurück nach Berlin: Wer in der nachfolgenden Podiumsdiskussion des KGNW-Forums genau zuhörte, hörte die wohl passendere Bewertung der Berliner Reformvorschläge: „Diese Empfehlung hält sich im Wesentlichen an die Vorgaben des Koalitionsvertrages“, äußerte sich die Bundestags-Delegierte Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen). „Das ist ein komplexes Thema, jeder weiß das, aber es ist ein fundierter Vorschlag.“
„Revolution? Nein nicht mal annähernd“, erwiderte Wolfgang Müller, Geschäftsführer der Vestischen Caritas-Kliniken in Datteln. Das Krankenhaussystem befinde sich in einer gefährlichen Krise. „Es wäre wirkungsvoller gewesen, wenn in Berlin heute die Beleidigungen und Beschuldigungen der Klinikmitarbeiter nicht hörbar gewesen wären.“ Ein kräftiger Hieb gegen Minister Lauterbach, der u.a. verkündet hatte, dass er deshalb keine Klinik-Lobby in seiner Regierungskommission haben wollte, „weil sonst nichts herausgekommen wäre“.
Droht nun wirklich eine Revolution oder handelt es sich nicht eher um einen kaschierten Versuch aus Berlin, in die explizite Hoheit der Länder einzugreifen, die die Krankenhausplanung selber vornehmen?
Klartext in der Debatte sprach Dr. med. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe: „Eine Revolution ist das nicht, nur eine Fleißarbeit, die wir bei der Krankenhausplanung in NRW schon seit fünf Jahren betreiben. Eine Krankenhausreform innerhalb des DRG-Systems ist nicht möglich“, betonte Gehle. „Eine löchrige Decke reißt, wenn man an allen Enden zieht.“ Die Entscheidungsgewalt bei der Krankenhausplanung müssten die Länder behalten. Eine nur aus Berlin kommende Klinik-Reform könne nicht gelingen. „Derzeit wissen wir aber nicht, ob unser System überhaupt dauerhaft finanziert wird“, beklagte Gehle. „Am Ende geht es doch eher um eine Finanzreform.“ Diesen Ball nahm Maria Klein-Schmeink gerne auf: „Wir geben sehr viel Geld aus. Wir müssen es nur klüger verteilen.“ Die gewohnte pauschale Kritik an vermeintlicher Fehl- und Überversorgung.
Kritisch argumentierte auch Dr. Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft: „Man kann das deutsche Gesundheitswesen nicht von Berlin aus auf dem Reißbrett reformieren. Krankenhausplanung muss dem Bürger dienen und darf keinen Selbstzweck haben.“ Umfragen belegten eindrucksvoll, dass die Bürger sich eine wohnortnahe Krankenhausversorgung wünschten und Vertrauen in ihre Kliniken haben. „Sie wehren sich gegen den kalten Strukturwandel.“
Blicken wir auf die desaströse Finanzlage: „96 Prozent der Kliniken können aktuell die Kostensteigerungen nicht aus ihren Erlösen finanzieren. Die nicht finanzierten Sachkosten explodieren“, warnte Gerald Gaß. „Mit sechs Milliarden Euro will Minister Lauterbach alle deutschen Kliniken retten. Er verkennt jedoch, dass aktuell 15 Milliarden Mehrkosten nicht refinanziert sind.“
Die Prognose für Kliniken sei daher für 2022 und 2023 düster, denn die defizitäre Investitionsförderung der Länder verhindere dauerhaft effiziente Strukturen und verschärfe so die Personalnot. „Das jährliche Investitionsdefizit in den 334 Kliniken in NRW beträgt immerhin drei Milliarden Euro. Wir brauchen eine Finanzierung, die die Problem löst. Es hilft uns nicht, nur den Mangel anders zu verteilen, so, wie es just etwa bei den Kinderkliniken geschehe. Die 400 Millionen Euro zahlen wir doch selber.“
„Es ist illusorisch zu glauben, dass die Reform der Fallpauschalen ohne zusätzliche Mittel im Gesundheitswesen funktioniert. Eine reine Umschichtung der vorhandenen Gelder ändert nichts an der chronischen Unterfinanzierung der Krankenhäuser“, warnte KGNW-Präsident Ingo Morell.