Ende 1918 war die Geburtsstunde der Tarifautonomie. Das sog. „Stinnes-Legien-Abkommen“ war ein großer sozialpolitischer Durchbruch, weil die Arbeitgeber radikal mit ihrer antigewerkschaftlichen Politik brachen. Dies taten sie aber keineswegs freiwillig, sondern nur unter Druck, weil sie in der Novemberrevolution 1918 die Sozialisierung, sprich Enteignung ihrer Fabriken befürchteten.
Übrigens ist es dem nach den beiden Unterzeichnern benannten Abkommen auch zu verdanken, dass „Arbeiterausschüsse“ als Vorläufer der Betriebsräte eingerichtet werden durften und der Acht-Stunden-Tag eingeführt wurde. Seinerzeit waren das wirkliche Meilensteine, die nicht unter dem Staub der Geschichte verloren gingen.
In heutiger Zeit erleben wir, dass gewerkschaftliche Errungenschaften in Gefahr sind. Unter dem Vorwand dringend benötigter flexiblerer Arbeitszeiten sollen geltende Höchstgrenzen der Arbeitszeit vor Ort aufgeweicht werden. Arbeitgeber-Lobbyisten bemühen sich in Brüssel sogar, die maximale wöchentliche Arbeitszeit wieder auszudehnen.
Realität ist: Für uns Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern besteht der Acht-Stunden-Tag leider oft nur auf dem Papier. Überstunden werden eingefordert oder von uns aus purer Notwendigkeit zum Wohl der Patienten erbracht. Überstunden werden mitunter selten vergütet oder mit Freizeit ausgeglichen. Wir zahlen den hohen Preis des Ärztemangels. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Anfang voriger Woche startete die neue Tarifrunde für die kommunalen Kliniken. In den zurückliegenden Monaten haben wir uns intensiv auf unseren Tarifforen im Landesverband eine Meinung gebildet. Klar ist uns allen: Die Arbeitslast muss gesenkt werden! Die zentrale Voraussetzung dafür ist eine manipulationsfreie Erfassung der Arbeitszeit.
Wir fordern des Weiteren zwei freie Wochenenden im Monat, damit wir Ärztinnen und Ärzte so wie andere Arbeitnehmer bei ihrer Familie sein können oder an sozialen Aktivitäten teilnehmen können. Wir wollen klare Höchstgrenzen für Bereitschaftsdienste. Keine Vollarbeit im Anschluss an einen Bereitschaftsdienst. Nur so lassen sich Arbeitszeitexzesse verhindern, nur so werden wir vor psychischer und physischer Überforderung geschützt und die Sicherheit der Patienten gewährleistet.
Wir wissen, Dienste in der Nacht, an Feiertagen und Wochenenden sind besonders belastend. Sie müssen besser vergütet werden. Bisher erhalten wir aber häufig weniger Geld für die von uns geleisteten Bereitschaftsdienste als für Arbeitsstunden, die in die Regelarbeitszeit fallen. Wir verlangen die Streichung sog. „Minusstunden“ im Bereitschaftsdienst.
Neben unserer linearen Forderung von fünf Prozent mehr Gehalt fordern wir die tarifvertragliche Gleichstellung der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Wir haben in Dortmund jüngst mit 100 Ärztinnen und Ärzten im ÖGD demonstriert, weil es für sie noch keine tarifvertraglichen Verhältnisse gibt. Wir wollen diesen tariflosen Zustand endlich überwinden und damit die Tarifbindung in einem wichtigen Bereich der ärztlichen Versorgung stärken.
All diese aktuellen Ziele, die in einer großen gewerkschaftlichen Traditionslinie stehen, verlangen von uns allen eins: Solidarität und Engagement. Wir brauchen einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, um gegenüber den Arbeitgebern durchsetzungsstark auftreten zu können. Jeder Einzelne ist gefordert. Das vergangene Jahrhundert lehrt uns, das wir für unsere Ziele gemeinsam kämpfen müssen. Geschenke dürfen wir von Arbeitgebern nicht erwarten.