Was ist Realität? Uns Ärztinnen und Ärzte begegnet im Alltag oftmals auch das Sterben unserer Patienten. Das Ende eines Lebens ist eine besondere, eine herausfordernde Situation in unserem persönlichen Verhältnis zum Patienten. Was ist dabei unsere Rolle? Wir wollen ja im Grunde heilen, die Gesundheit wiederherstellen, das ist unser eigener Anspruch und unser Auftrag. Wir müssen aber bei Schwerstkranken und Sterbenden auch lernen zu akzeptieren, dass wir angesichts des Unausweichlichen bestenfalls nur lindern und trösten können.
Wie stehen wir Ärztinnen und Ärzte zur Suizidhilfe? Das Zwischenergebnis einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) zum ärztlich assistierten Suizid gibt uns einen Hinweis: Von 444 Ärztinnen und Ärzten befürworten rund 82 Prozent den ärztlich assistierten Suizid – ca. 18 Prozent lehnen die Unterstützung beim Sterben gänzlich ab. Seit September 2022 ist die Umfrage online. Noch bis September 2023 können Ärztinnen und Ärzte teilnehmen. Zugegeben: diese kleine Umfrage ist sicher nur ein Meinungsbild. Also irren unsere Bundesärztekammer und der Deutsche Ärztetag, wenn entschieden wurde, dass die Beihilfe zur Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe ist?
Es lohnt sich, das Umfrageergebnis anders als die öffentlichen Medien nicht verkürzt, sondern differenziert zu betrachten. Unser besonderes Augenmerk gilt nämlich den Palliativpatienten, deren Versorgung nicht erfolgreich war, sowie den chronisch Schwerstkranken. Hier ist in der Umfrage, die Bereitschaft zum ärztlich assistierten Suizid hoch. Die Assistenz beim sog. „Bilanzsuizid,“ der nach dem Urteil des BVerfG bei festgestelltem „freiem Willen“ möglich ist, würden Ärztinnen und Ärzte der Umfrage nach nicht unterstützen wollen.
Wo liegt also unsere Grenze? Meiner Meinung nach sind wir Sterbebegleiter. Neben der persönlichen Zuwendung stehen uns am Ende des Lebens unserer Patienten die medizinischen Möglichkeiten der Schmerztherapie und Palliativmedizin zur Verfügung. Diese gilt es weiter zu stärken. Und wenn am Ende unter palliativer Sedierung ein Mensch aus dem Leben scheiden möchte, werden wir ihn begleiten. Das ist unser ärztlicher Handlungsrahmen, der seit jeher auch von unserer Berufsordnung gedeckt ist.
Dieser stößt aber naturgemäß an seine Grenzen, wenn Patienten an uns herantreten und ihren Wunsch an uns richten – ohne für uns erkennbaren Grund, mit unserer ärztlichen Hilfe zu sterben. Aber genau diese Bewertung soll uns laut Urteil des BVerfG und zumindest eines der vorliegenden Gesetzesentwürfe nicht gestattet sein. Stattdessen sollten wir in einem administrativen Prozess den „freien Willen“ vor Abgabe des todbringenden Rezeptes in einem hochbürokratischen Prozess dokumentieren.
Wir müssen darauf achten, dass das Thema Suizidhilfe in der Gesellschaft nicht völlig enttabuisiert wird und wir eine neue Aufgabe erhalten, die unserem ethischen Anspruch fundamental widerspricht. Sterbewillige in einer schweren Lebenskrise, Menschen, die einfach ihres Lebens satt sind, und womöglich noch unzureichend therapierte Patienten dürfen wir als Ärztin oder Arzt nicht helfen, sich selbst zu töten. In diesen Fällen ist der Gesetzgeber vielmehr gefordert, die Suizidprävention nachhaltig zu stärken.
Juristen haben klar entschieden: So, wie ein Mensch sein Leben frei gestalten kann, so kann er auch sein Leben frei beenden. Das Recht des selbstbestimmten Sterbens hat der Staat zu respektieren. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass wir Ärztinnen und Ärzte den Patienten mit jedem möglichen Sterbewunsch den Zugang zum Suizid verschaffen.
Einige Juristen bezweifeln mitunter mit gutem Recht, ob sich all die vielen Einzelschicksale – all die Fälle der höchstpersönlichen, privaten und existenziellen Fragen eines Sterbewunsches – überhaupt durch ein neues Gesetz zur Suizidhilfe regeln lassen. Teil der gesellschaftlich nötigen breiten Debatte über die Sterbehilfe sollte auch sein, ob ein diesbezügliches neues Gesetz überhaupt erforderlich ist.
Meiner Ansicht hat der Gesetzgeber gut daran getan, von dem Versuch der gesetzlichen Regelung erst einmal Abstand zu nehmen, und sich dafür vielmehr auf die Stärkung der Suizidprävention fokussiert. Aber die Diskussion ist noch nicht zu Ende. Nicht in der Politik, nicht in der Gesellschaft, nicht in der Ärzteschaft. Wir dürfen es nicht allein Juristen überlassen, ethische Grundsätze und Grenzen zu formulieren, denn unser Handeln wird dadurch bestimmt. In diesem Rahmen ist und bleibt es meiner Ansicht nach richtig: Die Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe. Die ärztliche Auseinandersetzung mit Suizidwünschen ist aber wichtiger Teil unseres ärztlichen Handelns.