Den Grausamkeiten früherer Kriege folgten humanitäre Eingrenzungsversuche. Henry Dunant gründete nach der Schlacht von Solferino im Sardinischen Krieg 1859 das Internationale Rote Kreuz. Fünf Jahre später haben zwölf Staaten im Stadthaus von Genf die erste Genfer Konvention zum Schutz verwundeter Soldaten unter[1]zeichnet. Der Beginn eines humanitären Völkerrechtes.
Nach dem ersten Weltkrieg stand zunächst die Ächtung des Giftgaseinsatzes an der Front zum Schutze der Soldaten im Mittelpunkt. Der zweite Weltkrieg mit über 60 Millionen Opfern zeigte erstmals einen Wendepunkt an. Die massiven Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Massenvernichtungen hatten erstmals zu deutlich mehr Ziviltoten als getöteten Soldaten geführt. Und das schlimmste – auch Ärzte waren im NS-Regime an Gräueltaten beteiligt.
Die Genfer Konvention wurde nach dem Zweiten Weltkrieg überarbeitet und ergänzt. Erstmals wurde der Schutz der Zivilbevölkerung ins Auge gefasst. Die verheerende, entfesselte Gewalt eines Krieges sollte so eingedämmt werden. Wo es militärische Kämpfe in der Welt gab, bleibt die Hoffnung, dass wenigstens die Zivilbevölkerung geschont wird. Warum? 196 Länder haben seit 1949 die Genfer Konvention unterzeichnet, auch Russland.
Über 70 Jahre später ist unverändert der Einsatz international geächteter Waffen verboten, ebenso die Bombardierungen von Wohnvierteln, die Angriffe auf Kliniken und Sanitätseinrichtungen sowie dessen Personal. Folterungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen sind in einzelnen Artikeln der Genfer Konvention aufgelistet. Dazu zählen ferner das Plünderungsverbot, der Schutz von Kulturgütern, der natürlichen Umwelt und das Verbot von Angriffen auf Staudämme, Deiche und Kernkraftwerke.
Aber sind das alles nicht nur idealisierte Worte? Denn direkt vor unserer Haustür werden seit den ersten Kriegstagen Krankenhäuser, Wohnhäuser, Schulen und Kindergärten gezielt bombardiert. Es geht nicht nur um Geländegewinne. Der Widerstand der ukrainischen Bevölkerung soll gebrochen werden. Selbst Kinder und Babys werden getötet. Nicht nur über fünf Millionen Geflüchtete sind traumatisiert, die über 35 Millionen verbliebenen Ukrainer fürchten Tag und Nacht um ihr Leben und müssen Schreckliches ertragen.
Mit dem Nachweis der Folterungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen von Zivilisten durch russische Militärs in zeitweise besetzten Gebieten – wie in Butscha – erreichte der Krieg eine fürchterliche Dimension. Alles Verstöße gegen die Genfer Konventionen. Russland erkennt den Internationalen Strafgerichtshof nicht an.
Es ist gut, dass der Strafgerichtshof bereits wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine ermittelt. Es bleibt uns zu hoffen, dass die Waffen in der Ukraine schnell schweigen und die politisch Verantwortlichen für Kriegsverbrechen bis hin zu den Tätern vor Ort sich eines nahen Tages vor dem Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen.
Aber, was bedeutet das für mich als Arzt? Ich habe wie viele Ärztinnen und Ärzte meines Alters in den 80er Jahren für den Frieden und gegen Waffen demonstriert. Angesichts dieses Krieges und der täglichen Kriegsverbrechen hatte auch ich spontan den Gedanken – wir müssen uns wehren, um unsere Freiheit und Demokratie zu schützen. Ist das wirklich unsere Aufgabe?
Die Genfer Konvention schafft Klarheit: „Beim Schutz von Verwundeten, Kranken oder Schiffbrüchigen darf nicht unterschieden werden zwischen Militär- und Zivilpersonen. Sie sind zu schonen und zu schützen, menschlich zu behandeln und entsprechend ihren Bedürfnissen medizinisch zu betreuen und zu pflegen.“
Genau das ist unsere Aufgabe als Ärztin oder Arzt, egal, wo wir mit unseren politischen Überzeugungen stehen, wir müssen immer ärztlich handeln. Gerade Ärztinnen und Ärzten kommt in Kriegen die wichtigste Aufgabe zu: Jedem Menschen human zu begegnen. Ohne diese Humanität wird eine Versöhnung der Menschen auf beiden Seiten der Front niemals möglich sein.