Rhetorisch ebenso glänzend beruhigte Prof. Karl Lauterbach das Plenum wieder. Lauterbach nahm der Kritik geschickt jede Wirkung. Gleich zu Beginn seiner 45-minütigen Rede zollte er für die Leistung der Ärztinnen und Ärzte in der Corona-Pandemie minutenlang seine Anerkennung, brachte seinen persönlichen Dank und den Dank der Bundesregierung zum Ausdruck: „Sie können Stolz auf Ihre Leistung sein.“
Die Stimmung im Saal beruhigte sich merklich, nicht nur der richtige Ton war getroffen. So viel Lob sprach bei einer Eröffnung des Deutschen Ärztetages ein Gesundheitsminister selten aus. Sprach fortan noch ein verantwortlicher Politiker oder eher ein Arzt zu den Ärztinnen und Ärzten?
Corona blieb eingangs Lauterbachs Thema, auch, wenn es um das Coronavirus gerade etwas ruhiger geworden sei. Die Infektionszahlen sinken. Die Zahl stationärer Patienten sei rückläufig. „Wir sehen aber schon jetzt neue Varianten und müssen davon ausgehen, dass im Herbst und Winter die Infektionszahlen wieder zunehmen werden. Wir müssen besser vorbereitet sein, als im vorigen Herbst.“ Die Zustimmung des Plenums war einkalkulierbar.
Lauterbach bekräftigte, dass sein Ministerium bereits intensiv an Problemlösungen arbeite – ein Satz der noch öfter zu hören war. „Der dritte Herbst kann nicht verlaufen wie der zweite Herbst. Wären wir nicht auf eine neue Welle, aber auch auf neue Erreger vorbereitet, wäre es eine kollektive Dummheit und ein Skandal.“
Sein Ministerium erarbeite gerade eine neue Impf-, Test- und Behandlungsstrategie. Auch brauchen wir ein neues Infektionsschutzgesetz. Das alte laufe aus. „Wir können unsere Maßnahmen nicht alleine auf die Maskenpflicht in Innenräumen beschränken. Die derzeitigen Instrumente seien als Vorbereitung für den nächsten Corona-Herbst nicht ausreichend.“
Der Bundesgesundheitsminister Lauterbach bemühte sich, allen Delegierten zu versichern, dass sein Ministerium bereits eifrig unter seiner Regie arbeite. Sein Ziel: Binnen 100 Tagen müssten bei neuen Pandemien Impfstoffe entwickelt werden, wirksame Behandlungen möglich sein. So arbeite sein Ministerium etwa auch daran, dass Long Covid besser erforscht und behandelt werden könne. „Sonst droht eine neue Volkskrankheit.“
Immerhin habe in der Corona-Pandemie der „Wert der Gesundheit“ an Bedeutung gewonnen. „Sie ist im Zentrum der Aufmerksamkeit angekommen. Aber braucht es eine weltweite Katastrophe, um den Wert der Gesundheit zu erkennen?“ Wer könnte da noch Kritik äußern wollen?
Erstaunlich klare Worte präsentierte Lauterbach zum ÖGD. Der vier Milliarden Euro schwere Pakt für den ÖGD beginne zu wirken. 2.000 Ärztinnen und Ärzte seien bereits neu eingestellt. Aus der zweiten Sitzreihe verwies Prof. Frank-Ulrich Montgomery mit einem Zwischenruf auf den noch immer verweigerten MB-Tarifstandard des TV-Ärzte im ÖGD. „Ulrich, da hast Du Recht. Ein Arzt im ÖGD darf nicht schlechter bezahlt werden als im Krankenhaus. Eine solche Zweiteilung ist nicht zumutbar.“ Eine Botschaft an die Länder. Überfällig sei ferner der Aufbau eines wissenschaftlichen Instituts des ÖGD, so Lauterbach.
Das Fehlen ärztlicher Vertreter in der neuen Krankenhauskommission der Bundesregierung rechtfertigte Karl Lauterbach mit einem gestuften Vorgehen und versprach die Einbindung der Klinikärzte: „Sobald die Theoretiker fertig sind, werde ich deren Ergebnisse mit den Praktikern erörtern.“
Sind die DRG geeignet, alle Leistungen richtig abzubilden? Lauterbach: „Ich glaube nicht. Nicht in der Geburtshilfe, nicht in Kinderkliniken. Da werden wir wohl näher an das Selbstkostendeckungsprinzip rücken müssen.“
Beruhigungspillen auch auf der Dauerbaustelle Notfallambulanzen: „Wie kann die Reform klappen? „Bei den Notfallambulanzen brauchen wir einen großen Wurf. In vielen Regionen haben wir ja gar keine Doppelstrukturen mehr.“ Sein Ministerium arbeite intensiv an Lösungen.
Damit nicht genug der Arbeit: Lauterbach sprach sich für weniger Bürokratie für Ärzte aus und für eine bessere Digitalisierung, die medizinisch Sinn macht und „mit der nicht die Technik uns dominiert - mit sofortigem Nutzen für Ärzte und Patienten“. Selbstverständlich auch für eine Entlastung der Pflegekräfte.
Der Bundesgesundheitsminister Lauterbach versprach für seine Amtszeit kollegiale Kooperation mit Ärztinnen und Ärzten „Wir wollen doch gemeinsam das Gesundheitswesen besser machen.“
Zu den wichtigsten Aufgaben zähle die Bekämpfung des Ärztemangels: „Seit Jahren vertrete ich die Auffassung, dass wir mehr Medizinstudienplätze benötigen. Ich halte es für einen großen Fehler, dass wir das nicht tun. Das werden wir in einigen Jahren bereuen. Wir können auch nicht anderen Ländern, die Ärzte wegnehmen, die sie ja noch dringender benötigen.“ Beifall aus der Ärzteschaft - eine Aufgabe für die Bundesländer.
Der Bundesgesundheitsminister Lauterbach ergriff am Ende die vom BÄK-Präsident offerierte - erstmals gebundene - dicke GÖÄ. „Dazu ist ja schon alles gesagt. Meine Redezeit ist ja jetzt schon um.“ Er versprach, diesen Entwurf „vorurteilsfrei zu prüfen.“ Sicherlich wieder ein Thema beim 127. Deutschen Ärztetag in Essen.