• Plädoyer für einen freien Beruf

    Hauptversammlung - Ärzte müssen Steuerung durch Kassen und Ökonomen bekämpfen
    04.Oktober 2018
    Köln
    Von Michael Helmkamp
    Nach der Eröffnung der diesjährigen Hauptversammlung durch den Landesverbandsvorsitzenden Dr. med. Hans-Albert Gehle plädierte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein in seiner Begrüßung beherzt für einen freien ärztlichen Beruf: "Wir brauchen die Freiheit, vor allem unsere Therapiefreiheit“, betonte Kammerpräsident Rudolf Henke. Der Ehrenvorsitzende des Marburger Bundes NRW/RLP warnte vor jeglichen Vorgaben, die die ärztliche Freiheit einschränken. Patienten vertrauten da­rauf, dass Ärzte ihre kompetenter Ansprechpartner sind.

    „Wir dürfen keine Weisungen von nichtärztlichen Mitarbeitern im Gesundheitswesen akzeptieren. Weder das System selber noch die Krankenkassen wissen es besser als wir Ärzte, was unsere Patienten wirklich gebrauchen. Kassen dürfen nicht die Macht übernehmen!“, erklärte der Ehrenvorsitzende des Marburger Bundes NRW/RLP weiter.

    Rudolf Henke warnte vor dem stetig wachsenden Einfluss der Kapitalinteressen. Sich immer stärker ausbreitende regionale Monopolbildungen und MVZ- und Praxisketten hätten immer höhere Rendite-Erwartungen. „Komplexe und teuer behandelbare Krankheitsbilder bleiben dabei auf der Strecke!“ Patienten verlören so die Wahlfreiheit und in MVZ angestellten Ärzten verblieben kaum Chancen, in einer Region den Arbeitgeber zu wechseln.

    „Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen“, betonte anschließend Professor Dr. med. Ulrich Fölsch (Generalsekretär Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin). Er war der erste Referent zum Thema Patienten brauchen Ärzte – keine Ökonomen. Die Einführung des DRG-Fallpauschalensystems habe gewaltige Fehlanreize geschaffen. Immer mehr Behandlungen, immer kürzere Verweildauern und immer weniger Betten. Kliniken versuchen ihrem Umsatz zu steigern, um zu überleben. DRG-Experten würden geschult, die Patienten auf dem Papier kränker zu machen, als sie tatsächlich sind, um die Basisfallwerte zu steigern.

    Klare Worte fand Prof. Fölsch zur Merkantilisierung des Gesundheitswesens: „Rendite-Vorgaben in privaten Kliniken und Umsatzziele in Bonusverträge für Ärzte verstoßen gegen die ärztliche Berufsethik, haben eine zu großzügige Indikationsstellung bei Ärzten und einen Vertrauensverlust der Patienten zur Folge. Ferner erlernen jüngere Ärztinnen und Ärzte eine falsche Priorisierung. Ärzte brauchen einen Kodex“, bilanzierte Prof. Fölsch. Er warb für den neuen Klinik-Kodex „Medizin vor Ökonomie“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Er soll künftig „Ärzte Codex“ heißen.

    „Wirtschaftliches Denken und Handeln gehört zum Arztberuf“, unterstrich dagegen LMR Dr. med. Heribert Müller, Leiter der Gruppe Krankenhauswesen aus dem Ministerium für Gesundheit und Arbeit NRW. „Wir leben alle im Spannungsfeld der Ökonomie und Medizin. Wir wollen die Versorgung optimieren und die Kosten dämpfen. „Das Leitmotiv der nordrhein-westfälischen Landesregierung ist in der Gesundheitspolitik immer das Wohl des Patienten“, versicherte Heribert Müller.

    „Die Qualität steht dabei im Fokus, die wollen wir steigern. Wir werden aber nicht alle Vorgaben des G-BA automatisch übernehmen. Unser Ziel ist es, die Krankenhauslandschaft effizienter zu gestalten. Weniger Betten, weniger Kliniken, eine kürzere Verweildauer – wir wollen die Krankenhauslandschaft in NRW an diese Entwicklungen anpassen.“ 

    Heribert Müller betonte, dass die neue Landesregierung pro Jahr insgesamt 210 Millionen Euro mehr in die Kliniken investiere. Jedes Jahr würden Schwerpunkte für Einzelförderungen gesetzt. In diesem Jahr 33 Millionen Euro für die Behandlung von Menschen mit seltenen Erkrankungen und die Versorgung von Kindern mit onkologischen Erkrankungen.

    Eine schonungslose und mit großem Beifall bedachte Analyse der Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen legte die Dürener Ärztin und Controllerin Eleonore Zergiebel als dritte Referentin in Köln vor: „Wir haben eine massive medizinfremde Überregulierung, in der wir bald nicht mehr arbeiten wollen und unsere Patienten bald nicht mehr behandelt werden wollen.“ 

    Seit Einführung der DRG ist eine Satellitenwirtschaft entstanden, in die erhebliche Gelder fließen, die uns in der Patientenversorgung fehlen. Es entstehen immer mehr Institute, ob GBA, IQTiG, InEK oder DIMDI. „Aber auch Berater, Software-Firmen, Prüfer des MDK, Aktionäre und Juristen greifen immer stärker in unser ärztliches Handeln ein“, betonte Eleonore Zergiebel.

    Das Abrechnungssystem koste nicht nur immense Beitragsgelder, es erhöhe zudem den Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Rund 10.000 Codierer und Prüfer arbeiten in Kliniken. Viele Tausend weitere Ärzte und Pflegekräfte arbeiten beim MDK oder bei den Krankenkassen. Die fehlen alle in der täglichen Versorgung.“ 

    Wo bleibt das Geld ansonsten? Was passiert mit den Überschüssen kommerzieller Klinikkonzerne? „Gelder der Versicherten fließen ab in die Gehälter für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Konzerne, in Dividenden für Aktionäre und Finanzinvestoren. So schafft sich das solidarisch finanzierte Gesundheitswesen selber ab“, warnte Eleonore Zergiebel. Ihr Fazit: „Der Solidargedanke ist längst beendet, der Beitragszahler wird betrogen. Überschüsse aus der Krankenversorgung sollten nur in das System zurückfließen, aber keinesfalls abgezogen werden. Wir möchten doch das Gesundheitswesen in unserer ärztlichen Verantwortung führen, wenn uns das nicht gelingt, ist der soziale Frieden in Gefahr.

    „Um dies zu verhindern, haben wir ein dreiseitiges Positionspapier vorgelegt“, erklärten die beiden Vorsitzenden des Marburger Bundes NRW/RLP, Dr. med. Hans-Albert Gehle und Michael Krakau, „in dem wir unsere Forderungen an de Politik, die Arbeitgeber und die Ärzteschaft klar formulieren.“  

    Das DRG-System soll durch ein Vergütungssystem abgelöst werden, das die aus ärztlicher Sicht nötigen tatsächlichen Kosten deckt. Die Politik soll mit Gesetzen und Richtlinien die übermäßige Verwaltungsarbeit reduzieren. Die Bundesländer müssen die nötigen Investitionsmittel vollumfänglich zur Verfügung stellen. Die Arbeitgeber müssen für eine angemessene personelle Ausstattung sorgen und Ärzte von überbordender Bürokartei entlasten. „Die Ärzte selber rufen wir auf, ihr Handeln am Wohl des Patienten zu orientieren und mehr Zuwendungszeit für ihre Patienten zu fordern. Wir müssen uns selbstbewusster gegen die Fehlentwicklungen stärker wehren.“