„Sein Referat beendete er mit einem emotionalen Appell an seine Kolleginnen und Kollegen und ich zitiere: ´Helfen Sie, die präventive Medizin als allgemeine ärztliche Aufgabe darzustellen. Denn präventive Medizin ist der Kampf gegen Unwissen und Unterlassung.`“ 1966 wurde damit in Essen der Grundstein für die heute längst etablierten Vorsorgeuntersuchungen im Kindes- und Jugendalter gelegt, die sog. U-Untersuchungen, die sicher eine Erfolgsgeschichte der präventiven Medizin in Deutschland sind.
„Heute, beschäftigt uns in Essen wieder das Thema Prävention, Gesundheitskompetenz und Gesundheitsförderung." Die Herausforderung ist gewachsen. "In Deutschland ist jeder zweite Bürger älter als 45 Jahre, jeder sechste Bürger älter als 66 Jahre. Besonders rapide steigt zudem die Gruppe der hochbetagten Menschen ab 85 Jahren an“, erinnert Henke.
„Doch eine steigende Lebenserwartung sagt leider nichts aus über die Anzahl der Jahre, die Menschen in guter Gesundheit, Selbstständigkeit und Wohlbefinden bis zu ihrem Lebensende verbringen. Denn altersbedingte Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Demenz nehmen zu“, meinte Rudolf Henke weiter. Allein in Europa werde bis 2035 mit einer Zunahme der an Krebs erkrankten Menschen um 25 Prozent gerechnet. Hält der Trend bei der Zunahme von Typ-2-Diabetes an, könnte sich die Zahl der Betroffenen bis 2040 mindestens verdoppeln. Bis 2030 werde es 40 Prozent mehr Menschen mit Demenz geben, prognostiziert eine Studie der Weltgesundheitsorganisation.
„Die meisten Länder - auch Deutschland - sind darauf nicht vorbereitet. Wir beobachten daher mit Sorge, dass eine zunehmend ältere und damit versorgungsbedürftigere Gesellschaft auf eine schon heute vom Fachkräftemangel gezeichnete Gesundheitsbranche trifft. Zukünftig werden immer mehr ältere Menschen mit verschiedensten Einschränkungen im Alltag von alternden Ärztinnen und Ärzten und Pflegepersonal betreut werden müssen“, prognostiziert Henke.
Angesichts dieser Herausforderungen sei es zwingend geboten, zu überlegen, wie wir unsere Versorgung der steigenden Nachfrage an Gesundheitsleistungen anpassen können, und wie wir der Krankheitslast in der Bevölkerung durch Prävention und Gesundheitsförderung entgegenwirken können. Damit könnten wir persönliches Leid mindern und direkt und indirekt auch Kosten und Personalressourcen einsparen.“
Doch seit der Corona-Pandemie beobachten wir in Sachen Prävention leider eher Rück- als Fortschritte. So sind nach Daten von Krankenkassen die Teilnahmeraten bei Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen erheblich gesunken. Hier müssen wir dringlichst mit entsprechenden Kampagnen gegensteuern.“
Viele Menschen lebten heute ungesünder als vor der Pandemie: „Sie bewegen sich weniger, haben zugenommen, verbringen sitzend Stunden vor digitalen Medien und die Raucherquote bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist leider wieder gestiegen.“
Auch gilt Deutschland nach dem aktuellen Jahrbuch Sucht weiterhin als Hochkonsumland von Alkohol. 7,9 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise und riskieren damit zum Teil vermeidbare Erkrankungen wie Darmkrebs, Magenkrebs, Lebererkrankungen, Depressionen. Für Kinder und Jugendliche stellen insbesondere die kurzfristigen Folgen exzessiven Alkoholkonsums eine besondere Gefährdung dar.
Kritische Worte fand Rudolf Henke bezüglich der geplanten Cannabis-Legalisierung. „Wie man angesichts der ungelösten Probleme, vor die uns legale Drogen schon heute stellen, auf die Idee kommen kann, nun noch eine weitere Droge hinzuzufügen, erschließt sich mir gerade mit dem Verweis auf Kinder- und Jugendschutz nicht.“
Rudolf Henke verwies auf die Ergebnisse einer Hamburger Studie, die prognostiziert, „dass der Konsum von Cannabis nach einer etwaigen Legalisierung auch in Deutschland weiter zunimmt (…) und dass dort, wo mehr Menschen Cannabis konsumieren, auch die Zahl der Not-aufnahmen für akute und chronische Suchtfolgen ansteigt.“
Statt Energie und Arbeit in ein solches Gesetz zu stecken, „hätte ich mir als Arzt gewünscht, dass diese Arbeitskraft in den nachhaltigen Ausbau von Prävention und in die Stärkung der Gesundheitskompetenz unserer Bevölkerung geflossen wäre. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Ressourcen in den Ausbau schulischer Suchtprävention stecken, damit der Einstieg in den Konsum legaler und illegaler Drogen möglichst vermieden oder so weit wie möglich in das Erwachsenenalter verschoben werden kann. Ich würde lieber darüber reden, wie wir praxisorientierte Ernährungs-, Gesundheits- und Medienkompetenz in Schulen aufbauen können und wie wir den Breitensport nach Corona so aufstellen, dass Deutschland wieder in Bewegung kommt.“