• Prof. Bettina Schöne-Seifert: „Diesen Irrsinn wollen wir nicht länger hinnehmen!“

    „Münsteraner Kreis“ zum Heilpraktikerberuf
    22.August 2017
    Münster
    mhe. Im deutschen Gesundheitswesen stehen den Patienten über 300.000 mehrjährig akademisch qualifizierte und vorwiegend in Krankenhäusern über im Regelfall mindestens sechs Jahre hochspezialisierte Fachärztinnen und -ärzte zur Verfügung, die in ihrer ärztlichen Tätigkeit eine auf Leitlinien basierende wissenschaftliche und am Fortschritt orientierte medizinische Behandlung anbieten. Darüber hinaus gibt es aber auch einen zusehends beliebteren Markt der gut 47.000 Heilpraktiker, der nach Überzeugung eines 17-köpfigen wissenschaftlichen Gremiums aus Münster „überwiegend in einer unwissenschaftlichen Gedankenwelt verankert ist, die unangemessen und vor allem weitgehend unreguliert ausgebildet sind und meist unhaltbare Krankheitskonzepte anbieten. Diesen Irrsinn wollen wir nicht länger hinnehmen“, positioniert sich der „Münsteraner Kreis“ um Prof. Bettina Schöne-Seifert, Medizinethikerin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

    Der staatlich geschützte Beruf des Heilpraktikers solle abgeschafft werden oder durch einen Fachheilpraktiker ersetzt werden, der bereits zuvor einen Heilberuf erlernt haben muss, eine wissenschaftsorientierte Ausbildung habe und eine staatliche Prüfung absolviere, so lautet das Fazit in dem Memorandum der Gruppe, die aus insgesamt 17 Ärzten, Medizinethikern, Juristen, Historikern, Pflegeexperten und einem Journalisten besteht. Das Gremium richtet einen Appell an den Gesetzgeber, das deutsche Heilpraktikerwesen entsprechend zu reformieren.

    Abschaffung oder Fachheilpraktiker - dies sind nach Überzeugung der Expertengruppe die einzigen Optionen, um das bestehende „Missverhältnis von Qualifizierung und Befugnissen der Heilpraktiker zu korrigieren, ohne dabei die Selbstbestimmungsrechte der Patienten ungebührlich zu beschränken“, heißt es im „Münsteraner Memorandum Heilpraktiker“ weiter. „Da Heilpraktiker das Etikett „staatlich anerkannt“ bekommen, können Patienten leicht den Eindruck erhalten, dass es sich bei Medizinern und Heilpraktikern um gleichwertige Alternativen handeln würde“, erklärt Prof. Bettina Schöne-Seifert.

    Berufseinschränkung und Regulierung fordert auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe: „Heilpraktiker sind nicht die Lösung für bestehende Versorgungsprobleme und schon gar nicht ein Arzt-Ersatz. Im Gegenteil: Sie können eine Gefahr für die Patientensicherheit sein“, betont der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. med. Theodor Windhorst. Er fordert erneut eine grundlegende Reform des Heilpraktikerwesens, für die sich auch der diesjährige 120. Deutsche Ärztetag in Freiburg klar ausgesprochen hatte. Der Gesetzgeber müsse alle invasiven Maßnahmen sowie die Behandlung von Krebserkrankungen vom zulässigen Tätigkeitsumfang der Heilpraktiker ausschließen, lautete das Votum des Freiburger Ärztetags. "Wir müssen mit gesetzlichen Rahmenbedingungen den Schutz der Patienten in den Mittelpunkt stellen", ergänzt der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke.

    „Denn Heilpraktiker können derzeit ohne umfassende Ausbildung mit dem Patienten machen, was sie wollen“, kritisiert Dr. Theodor Windhorst weiter. Es sei „das zentrale Merkmal des Heilpraktikerunwesens, außerhalb geltender medizinischer Standards, Leitlinien und allgemein anerkannter Wirksamkeitsmechanismen tätig werden zu dürfen. Heilpraktiker können tatsächlich keine Diagnosen stellen oder Therapien verordnen. Sie arbeiten lediglich mit Vermutungen. Sie dürften auch nicht „anbehandeln“ oder etwa Injektionen setzen.“ Tätigkeiten im Sinne des Infektionsschutzgesetzes, beim Schwangerenschutz oder bei einer Todesfeststellung seien ihnen ebenfalls nicht möglich.

    Wer Heilpraktiker als Ersatz für ärztliche Versorgung von körperlichen oder seelischen Erkrankungen verstehe, gehe ein hohes medizinisches Risiko mit Gefährdungspotential ein, betont der westfälisch -lippische Kammerpräsident. „Um kranke Menschen vor Scharlatanerie zu schützen, muss der Gesetzgeber handeln“, fordert Dr. Windhorst. „Das Ziel muss nicht ein Berufsverbot sein, aber wohl Berufseinschränkungen und -regulierung.“