Aber, warum hat niemand wirklich mit mir gesprochen? Aber, warum war nie jemand erreichbar? Aber, war es wirklich eine gute Entscheidung, sie dorthin zu bringen? Aber, waren die dort nicht mit all den Corona-Patienten beschäftigt und konnten sie nicht auf die Station?
Die fraglos erforderlichen Besuchsverbote und -einschränkungen versperren den Blick in ein ohnehin für den Laien kaum zu durchschauendes System. „Vor Corona“ konnte je[1]der Angehörige hingehen und sich mit eigenen Augen über[1]zeugen. Man konnte sich ein persönliches Bild von den Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräften machen, den Krankheitsverlauf persönlich verfolgen und den erkrankten Ange[1]hörigen vor der Übermacht einer vermeintlich unmenschlichen Medizin jederzeit beschützen.
Heute muss man vertrauen und sich verlassen. Es ist für viele daher nur ein schwacher Trost, dass es Tablets auf der Station gibt, mit denen per Bildübertragung telefoniert werden kann, obgleich das WLAN-System des Krankenhauses noch gar nicht darauf ausgerichtet ist und sich gleichzeitig oft spektakulär bebilderte Berichte und Beiträge über die Überlastung und den Personalmangel häufen.
Selbst die basalen Dinge scheinen im Krankenhaus noch immer nicht zu funktionieren. Das Misstrauen vieler Angehöriger, aber auch der Patientinnen und Patienten steigt. Vielleicht lieber doch noch mit der Behandlung ein wenig warten? Wer möchte vermeintlich hilflos ausgeliefert sein?
Gerade hatten wir es geschafft, uns von dem alten Bild des „Halbgottes in Weiß“ zu lösen. Stattdessen entstand das Bild des mündigen Patienten, der sich in den Dialog mit seinen behandelnden Medizinern begibt und auch Verantwortung für seinen Genesungsprozess übernimmt.
Und die Medizinerinnen und Mediziner wurden wieder als das wahrgenommen, was sie schon immer waren, Ärztinnen und Ärzte, die auch hinter „der Niere von Zimmer 317“ einen Patienten mit komplexer Krankheitsgeschichte, mit einem Beruf und einer Familie wahrnehmen. Wir wissen doch, dass die Angehörigen einen wichtigen Faktor im Genesungsprozess darstellen.
Derzeit führen die strikten infektiologischen Kontaktbeschränkungen aber unweigerlich dazu, dass Angehörige sich beklagen, nicht zu wissen, was mit ihren erkrankten Familienmitgliedern in der Klinik so alles geschieht. Ärzte sind kaum erreichbar. Es fehlt uns leider die Zeit für die eigentlich unverzichtbare Zuwendung – die Zeit für Patienten und die Zeit für Angehörige. Eine traurige Folge der Ökonomisierung der Medizin und des Ärztemangels – und obendrauf noch die Pandemie.
Plötzlich übernehmen andere Berufsgruppen wie Pflegekräfte und Mitarbeitende aus dem Bereich der sozialen Arbeit unsere Aufgaben. Sie informieren über den Patienten, sie halten Kontakt zu den Angehörigen. Was dabei herauskommt? Gut gemeint ist nicht immer gleich gut gemacht! Oft sind es allgemeine Beruhigungsversuche aus der Not der eigenen Unsicherheit geboren. Ist es das, was wir wollen und unseren Patientinnen und Patienten schuldig sind?
Was bedeutet das für die Zeit „nach Corona“? Wir sind nicht nur die Mediziner im Hintergrund, zwar verantwortlich für alles, aber gar nicht dafür vorgesehen, es auch zu steuern oder gar zu tun. Wir müssen die politisch Verantwortlichen ab sofort noch besser als bisher in ihre Pflicht nehmen, die allseits bekannten Defizite in unserem Gesundheitssystem endlich beheben.
Allen muss klar sein, wer eine ausgezeichnete Versorgung will, der muss den Wert der Gesundheit auch in den Haushalten von Bund und Ländern deutlich höher ansetzen und bereit sein, mehr in Gesundheitsversorgung zu investieren. Geschieht dies nicht, werden wir Ärztinnen und Ärzte das mühsam über Jahre aufgebaute Vertrauen der Patienten und Angehörigen wieder verlieren.
Stefanie Oberfeld ist Mitglied im Vorstand des Marburger Bundes NRW/RLP