„Mit steigender Inzidenz steigt linear, wenn auch mit einem anderen Faktor als vor den Impfungen, nicht nur die Hospitalisierungsrate und die Auslastung der Intensivstationen, es steigt auch die Zahl der Todesopfer, über die aber kaum einer mehr laut spricht.“
Wenn Kliniken wegen erschöpfter Kapazitäten die stationäre Aufnahme von Intensivpatienten stoppen müssen dann das nicht nur die Coronapatienten, das trifft Patientinnen und Patienten mit anderen schweren Erkrankungen genauso. Unsere Kolleginnen und Kollegen und das Pflegepersonal auf den Intensivstationen, sie arbeiten seit knapp zwei Jahren im Dauerstress. Ich glaube, wir können uns alle aus-malen, dass die Abwanderungstendenzen gerade in der so wichtigen Intensivpflege weiter steigen werden, wenn wir nicht glaubhaft alles dafür tun, für Entlastung zu sorgen.“
Mit Boosterimpfungen müssten schnellstens die Bürger geschützt werden. „Das ist nochmal ein Kraft-akt für Niedergelasse, mobile Impfteams und mobile Impfzentren. Die Kammerversammlung verabschiedete einen Impfappell an die Bevölkerung.
Henke forderte im Weiteren die Novelle der 40 Jahre alten Gebührenordnung für Ärzte. „Wir können ein Fortschreibung der unendlichen Geschichte der Verschiebungen dieser mehr als fälligen Reform nicht hin-nehmen.“
Dass Absichtserklärungen auf Papier den ÖGD nicht stärken, sondern vielmehr ein Gesamtkonzept mit den elementaren Aufgaben und einem passenden Personalschlüssel samt Digitalisierungsstrategie vorlegt wer-den musst, unterstrich Henke. „Um Anreize zu schaffen, im ÖGD tätig zu werden, braucht es darüber hinaus endlich eine tariflich gesicherte, arztspezifische Vergütung alle im ÖGD tätigen Ärztinnen und Ärzte.“
Rudolf Henke erinnerte an die Flutkatastrophe, die über 180 Menschenleben forderte. Neben Häusern, Straßen, Brücken wurden auch Arztpraxen und Kliniken zerstört. „Das Leid, dass diese Flut über die Menschen brachte, ist immer noch beklemmend.“ Selbst die ebenso betroffenen Ärztinnen und Ärzte haben ihre Patienten weiter betreut. „Es gab eine überwältigende Leistungs- und Hilfsbereitschaft. Auch die Spendenbereitschaft war enorm. Die Kammer hat zur Unterstützung eine Anlaufstelle für Betroffenen eingerichtet. Neben Solidarität und Hilfe muss auch das Nachdenken über Ursachen und Konsequenzen stehen“, verwies Henke auf das Schwerpunktthema des Deutschen Ärztetages: „Es ist unsere ärztliche Pflicht, die Auswirkungen des Klimawandels zu benennen, auf die daraus resultierenden Gefahren für die Gesundheit hinzuweisen und Ge-genmaßnahmen einzufordern.“
Der nordrheinische Kammerpräsident verwies ferner auf den Paradigmenwechsel bei der Krankenhausplanung in NRW: „Statt Betten sollen zukünftig tatsächliche Leistungen als maßgebliche Plangröße dienen. Ziel sei es die Versorgung kleinteiliger zu steuern, Überkapazitäten in Ballungsgebieten abzubauen und eine flächendeckende Grundversorgung auch auf dem Land zu erhalten. Wenn das gelingt, könnte die Reform in NRW eine Blaupause auch für andere Länder werden.“
Sehr zufrieden zeigte sich Henke über die unmittelbare Beteiligung der Ärztekammern an der Krankenhausplanung hinsichtlich der nun im Gesetzentwurf vorgesehene Ausrichtung an der ärztlichen Weiterbildungsordnung. Henke unterstrich ferner die Notwendigkeit des Abbaus der Misstrauensbürokratie und die Bedeutung der Freiberuflichkeit im Sinne der ärztlichen Unabhängigkeit in fachlichen Entscheidungen. Dank nordrheinischer Initiativen habe der Ärztetag sich klar gegen die fort-schreitende Kommerzialisierung positioniert. Arztpraxen und MVZ dürften nicht zu Spekulationsobjekten kapitalgetriebener Finanzinvestoren werden.
Nachfolgend ausgewählte Beschlüsse der Kammerversammlung:
Dringender Impfappell
Das Parlament der Ärztinnen und Ärzte befürchtet die Überforderung des Gesundheitswesens auf allen Ebenen und fordert die noch nicht vollständig geimpften Menschen in NRW nachdrücklich zur Impfung gegen COVID-19 auf. „Bitte lassen Sie sich vollständig impfen! Die Impfung ist das wirksamste Mittel, die aktuell exponentielle Ausbreitung des Virus zu bremsen“
Henke warnte vor einem weiteren steilen Anstieg der schweren Krankheitsverläufe und der Todesopfer in den Wintermonaten. „Bitte prüfen Sie, auf welche möglicherweise riskanten Kontakte Sie in den kommenden Monaten zugunsten des Schutzes ihrer Gesundheit und der Gesundheit anderer freiwillig verzichten können.“
Darüber hinaus empfiehlt die Ärztekammer auch vollständig Geimpften und Genesenen anlassbezogene Tests, etwa vor privaten Feiern. „Das bringt zusätzliche Sicherheit und schützt die besonders Gefährdeten unter uns.“
Die Kammerversammlung fordert die Bürgerinnen und Bürger auf, die verfügbaren Impfangebote wahrzunehmen, auch die sog. Booster-Impfung. Gerade Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf – also ältere Menschen und Menschen mit geschwächtem Immunsystem – sollen sich möglichst schnell über ihre Möglichkeiten informieren, eine solche Auffrischimpfung zu erhalten. „Die Impfung gegen COVID-19 ist der beste Schutz gegen einen schweren oder tödlichen Verlauf bei einer Coronainfektion.“
Warnung vor „kontrollierter Freigabe“ von Cannabis
Die Kammerversammlung sprach sich gegen die „kontrollierte Freigabe“ von Cannabis zum nicht-medizinischen Gebrauch aus. „Die negativen Effekte von Cannabis auf das Gehirn und damit auch auf die Psyche, insbesondere bei Heranwachsenden, sind mittlerweile bekannt, werden aber in der politischen Diskussion ausgeklammert, verharmlost oder gegen ordnungspolitische Argumente wie zum Beispiel Entkriminalisierung der Konsumenten aufgewogen“. Eine Legalisierung von Cannabis werde zwangsläufig zur Zunahme des Konsums und damit von Folgestörungen wie dem Risiko einer Abhängigkeit, der Gefahr von depressiven Störungen, Angststörungen, Psychosen und zu Entwicklungsrückständen bei Jugendlichen führen.
Stärkung der Gesundheitsvorsorge
Die Ärztekammer Nordrhein befürwortet, das im erklärte Ziel der Ampel-Koaliton, Vorsorge und Prävention zum Leitprinzip der Gesundheitsversorgung zu machen. Dazu sei eine Reform des Präventionsgesetzes aus 2015 erforderlich. Man dürfe die Prävention nicht nur den Kassen überlassen. Ziel einer effektiven Präventionspolitik müsse es sein, evidenzbasierte, zielgruppenspezifische verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen flächendeckend umzusetzen, und dazu bedarf es des ärztlichen, des wissenschaftlichen Sachverstands und der kommunalen Organisationskraft.“
Geschulte Laien können Menschenleben retten
Die Ärztekammer Nordrhein fordert die flächendeckende Etablierung von Reanimationsschulungen für die Bevölkerung, etwa in Schulen und Betrieben. Ein Ersthelfer kann im Notfall das sonst therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen des Rettungswagens verkürzen und Leben retten. Das Thema Wiederbelebung müsse verpflichtend Teil des Schulunterrichts ab Klasse sieben werden. Auch in den Betrieben müssten die Herz-Kreislauf-Schulungen von Beschäftigten ausgeweitet werden. Die Ärzteschaft in NRW und der Rettungsdienst stünden bereit, solche Initiativen zu unterstützen.