Nun stehen uns im laufenden Jahr gewaltige politisch initiierte Veränderungen bevor. 2023 wird mit der Krankenhausreform die Weiche für die zukünftige Gesundheitsversorgung gestellt. Die Erstellung eines Konzeptes für eine grundlegende Reform der Krankenhauslandschaft wurde einer Expertenkommission überlassen. Die vom Gesundheitsminister Lauterbach verkündete Reform soll Versorgungsstufen bundesweit einheitlich definieren und ferner Mindestanforderungen pro Stufe festlegen. Darüber hinaus wird eifrig über die geplante Zahl der differenzierenden Leistungsgruppen diskutiert. Fraglich ist, wie feingliedrig darf oder muss unsere Krankenhauslandschaft der Zukunft sein?
Nun, das künftige Behandlungsspektrum muss sicherlich viel gröber als die gut 1.300 DRG ausfallen. Lauterbach verweist auf das Schweizer Modell mit 100 Leistungsgruppen, will aber nach dem Vorschlag seiner Kommission für 1.900 Kliniken hierzulande eine noch feinere Differenzierung mit 128 Leistungsgruppen entwickeln lassen. Ein „unabhängiger“ Ausschuss soll unter Mitwirkung von Verbänden und Gesellschaften in zwölf Monaten die Leistungsgruppen festlegen und später weiterentwickeln. Die Leistungsgruppen sollen im nächsten Schritt mit Mindestvorgaben für Personal und Technik verknüpft werden.
Was heißt das für uns Ärztinnen und Ärzte? Zunächst wird unsere Kliniklandschaft in einem nicht absehbaren Ausmaß umgekrempelt werden. Das stößt in NRW auf besondere Probleme, denn wir sind bei der Krankenhausplanung - eine Hoheit der Länder - schon ein paar Jahre weiter. Im Gegensatz zu den Bestrebungen des Bundes haben sich aber in NRW alle Akteure mit ihrer Expertise einbringen können. Aktuell laufen in NRW bereits die regionalen Verhandlungen zwischen Kliniken und Kassen, die bis zur Jahresmitte beendet sein müssen.
Doch bei all dem gibt es noch einen gravierenden Unterschied. Der neue Krankenhausplan für die 335 Kliniken in NRW sieht nur 68 Leistungsgruppen für Medizin vor. Mit guten Gründen. Mittels unserer beiden Ärztekammern ist es im Vorfeld gelungen, die Landespolitik zu überzeugen, dass sich die Krankenhausplanung auch in Zukunft an der ärztlichen Weiterbildungsordnung ausrichten muss: Die Leistungsbereiche, für die sich die Kliniken aktuell bewerben können, müssen sich an ärztlichen Fachgebieten orientieren. Eine zusätzliche Einteilung in Versorgungsstufen sollte es bisher nicht geben.
Berlin äußerte bereits hierzu seine Bedenken, dass eine derart „geringere“ Differenzierung der Kliniken in NRW „gravierende Nachteile“ habe, etwa ungenaue Strukturvorgaben und Zuordnung von Leistungen zu Leveln. Wo aber liegen die Probleme?
Erstens hätte das ins Filigrane gesteigerte Bundeskonzept tatsächlich Nachteile für die Weiterbildung unseres ärztlichen Nachwuchses. Je stärker Kliniken spezialisiert sind, desto schwieriger wird die Weiterbildung in Krankenhäusern. Wir fordern daher, dass unsere jungen Kolleginnen und Kollegen auch zukünftig umfassend und in der ganzen Breite ihres Faches weitergebildet werden können.
Wir wollen in der Weiterbildung keine Rückkehr zu kurzfristigen Zeitvertragsketten und unnötig aufgezwungenen Arbeitgeberwechseln. Es muss dafür natürlich verbindliche, trägerübergreifende Weiterbildungsverbünde zwischen Kliniken der Spezial- und Regelversorgung geschaffen werden. An deren Aufbau werden wir uns mit unseren Kammern aktiv beteiligen.
Zweitens ist es grundsätzlich löblich, dass der notwendige Strukturveränderungsprozess anlaufen soll. Die Kehrtwende ist überfällig. Aber die Berliner Reformvorschläge müssen mit allen Akteuren, Verbänden und vor allem den Ländern abgestimmt werden. Berlin darf keine Brechstangen ansetzen. Die Berliner Vorschläge dürfen im Finanzierungs- und Planungswesen des Krankenhaussystems allenfalls eine Diskussionsgrundlage darstellen, inwiefern sie überhaupt so umsetzbar und praktikabel sind, erscheint mehr als fraglich.
Besonders die unbedingte Verknüpfung von Versorgungsstufen und Leistungsgruppen könnte für die meisten Kliniken in NRW und RLP problematisch werden, wenn an diese Verknüpfung die Finanzierung der Betriebskosten doppelt gebunden werden. Laut dem jetzt vorliegenden Vorschlag der Regierungskommission würde der überwiegende Teil der NRW-Kliniken die Versorgungsstufe 2 nicht erreichen. Damit würden viele Leistungen nicht mehr vergütet.
Bei aller Planung von Bund und Ländern dürfen alle Akteure in den Debatten nicht übersehen, das gravierendste Problem unseres Gesundheitssystems ist neben der Unterfinanzierung der fächerübergreifende Personalmangel. Dieses Dilemma zeitnah zu lösen, ist die eigentliche Herausforderung der Zukunft.
Deshalb wollen wir unseren Berufspolitischen Abend am 1. Mai 2023 um 19 Uhr in der Kulturinsel im Verlauf des 77. Borkumer Fort- und Weiterbildungskongresses dem Thema „Fachkräftemangel im Gesundheitswesen“ widmen. Wir dürfen gespannt sein auf den Vortrag unser Gastrednerin, der MB-Bundesvorsitzenden Dr. med. Susanne Johna.