• Wir müssen jeden Demokraten zur Wahl tragen

    143. MB-Hauptversammlung - bemerkenswertes Bekenntnis zu unseren Grundwerten
    15.Mai 2024
    Der zweite Tag der 143. MB-Hauptversammlung in Mainz stand im Zeichen der Gefährdung unsere Demokratie. Die Delegierten bezogen klar Stellung gegen Menschenverachtung, Rechtsextremismus und Antisemitismus. Mit einer Mahnung gegen das Vergessen erinnerte Dr. Benjamin Kuntz eingangs an die Entrechtung, Verfolgung und Tötung von Ärztinnen und Ärzten jüdischen Glaubens im Dritten Reich – u. a. an das Schicksal der Ärztin Lucie Adelsberger, der Chronistin von Ausschwitz.

    Der Medizinhistoriker des RKI berichtet ebenfalls von der Beteiligung von Ärztinnen und Ärzten an den Verbrechen der Nationalsozialisten und die späte Verurteilung einzelner Ärzte. Mediziner waren wie kaum eine andere Berufsgruppe in die Rassen- und Vernichtungspolitik involviert.

    „Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte“, diagnostizierte der Arzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich später. Es begann mit der Akzeptanz der Einstellung, dass es ein bestimmtes Leben gebe, die es nicht wert seien, gelebt zu werden. Allmählich wurde der Kreis ausgeweitet.

    Nach der Machtübernahme verhöhnte Hitlers Propagandaminister im Jahr 1935 die Weimarer Demokratie, weil sie den Aufstieg der Nazis so einfach gemacht habe und aus falschem Selbstverständnis heraus den Weg zur Abschaffung der Demokratie bereitet hatte.

    Es sollte uns eine Lehre sein: „Toleranz in einer Demokratie darf nicht bis zum Selbstmord gehen!“ Mit diesen Worten rief MB-Vorsitzende Dr. med. Susanne Johna auf, sich gegen den fortschreitenden Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu stellen. „Unsere Demokratie ist verletzlicher als wir geglaubt haben.“

    Die Demokraten müssen jetzt zusammenstehen. „Als Ärztinnen und Ärzte tragen wir eine besondere Verantwortung, für unsere Patienten und für unsere Gesellschaft. Unser Berufsethos gebietet es uns, die Gesundheit aller Patienten ohne Unterschiede zu ermöglichen.

    Wir dürfen nicht zulassen, dass die Grenzen des Unsagbaren immer weiter verschoben werden. Handelnde und Profiteure sind Agitatoren mit rechtsextremistischer Rhetorik, die insbesondere Soziale Medien benutzen, um ihren Hass zu verbreiten.“

    Ist die Ärzteschaft heute immun gegen Rechtsextremismus? „Es ist erschreckend, dass der Vorsitzende der AfD in NRW ein Arzt ist, das zwei ärztliche Kollegen in dieser Partei im Bundestag saßen. Und es ist erschütternd, dass vor Jahren schon eine Umfrage ergab, dass fast 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte zum Wählerpotential der Rechtsextremisten zugerechnet werden. Wir müssen eine klare Haltung gegen Rassismus zeigen“, forderte Daniel Wellershaus, Vorsitzender des MB-Bezirks Bergisches Land. „Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen. Antidemokraten, Faschisten und Rechtsextreme haben in unserem Verband nichts zu suchen.“

    „Ich verzweifele etwas an dem Gedanken, dass wir noch in einer Demokratie leben. Es gibt längst eine Gruppe in unserer Bevölkerung, die sich eine milde Diktatur vorstellen kann. Wir müssen in unserer Gesellschaft allen bewusster machen, was es heißen würde, wenn die Deportationspläne der Rechtsextremisten realisiert würden“, warnte unser Spitzenkandidat bei der Kammerwahl in Nordrhein, Dr. med. Sven Dreyer.

    „Wir sind froh, dass unsere vielen Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund in Kliniken arbeiten. Wir sind auf sie angewiesen. Ohne sie in unserem Team könnten wir die medizinische Versorgung gar nicht mehr aufrechterhalten.“

    „Wir leben im Übergang vom Postfaktischen zum Präfaschismus. Neben Rechtsfaschismus gibt es aber auch Linksfaschismus. Was an amerikanischen Universitäten derzeit zu beobachten ist, ist kaum erträglich. Und auch der Ruf nach dem „Kalifat“ ist purer Islamismus. Das dürfen wir nicht vergessen. Es ist unsere Aufgabe: Wir müssen jede Demokratin und jeden Demokraten zur Wahl tragen, um unsere Demokratie zu bewahren.“

    Unsere Demokratie ist durch das Erstarken der Rechten bereits weitaus gefährdeter als viele glauben: „Es geht längst nicht mehr um die Frage, wie gehen wir mit gegenseitigem Respekt um. Es stellt sich immer mehr die Machtfrage in Deutschland“, betonte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. „Es ist für uns die zentrale Frage, ob wir es zulassen, dass Vertreter der AfD Machtpositionen besetzen können. Das zu verhindern, ist unser Auftrag.“

    Rudolf Henke erinnerte an die Machtergreifung der Nationalsozialisten. „Konservative und Deutschnationale glaubten seinerzeit Hitler einfangen und entzaubern zu können. Innerhalb von nur zwei Monaten war die gesamte Demokratie 1933 zerstört.“

    „Die AfD darf keinesfalls irgendwo an die Macht kommen“, unterstrich Rudolf Henke weiter. „Alles, was wir tun können, ist das zu verhindern. Hören wir auf zu Schweigen, wenn wir Extremismus, Hass und Hetze oder die Verächtlichmachung von Politikern erleben.“