• Zunehmendes Profitstreben gefährdet Patienten und Ärzte!

    Pressemitteilung
    Hauptversammlung 2018 - 170 Delegierte aus NRW und RLP legen dreiseitiges Positionspapier vor
    24.September 2018
    Köln
    (mhe). Das Streben nach Profiten im Gesundheitswesen gefährdet die Gesundheit der Patienten und Ärzte. Durch immer mehr ökonomische Vorgaben werden ärztliche Entscheidungen in Diagnostik und Therapie immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Die unverzichtbare Zeit für Patienten, die nötige Zeit für eine Zuwendungsmedizin geht verloren. Es ist auch nicht akzeptabel, dass Klinikärzte täglich aufgefordert werden, Bettenbelegung unter ökonomischen Gesichtspunkten zu steuern. Angesichts vieler negativer Auswirkungen der fortschreitenden Ökonomisierung auf die Gesundheit der Beschäftigten und Patienten fordern die knapp 170 Delegierten aus NRW und RLP auf der diesjährigen Hauptversammlung in Köln, dass die Entscheidungsträger im Bund und den Ländern zukünftig bei allen gesetzgeberischen Maßnahmen im Gesundheitswesen das Primat einer unabhängigen ärztlichen Entscheidung in den Vordergrund stellen.

    In seinem dreiseitigen Positionspapier warnt der Marburger Bund Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz vor den Folgen der zunehmenden Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung. Die angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte beklagen, dass die produktivitätsorientierte Vergütung des DRG-Systems keine Zeit für Patienten außerhalb der ärztlichen Kernleistung lässt. Die Fallpauschen erhöhen zudem kontinuierlich die Anforderungen an die Dokumentation und Arbeitsplatzstruktur des Arztes.

    Kritik äußerten die Delegierten aus den 26 MB-Bezirken ferner an der Budgetierung der Gesundheitsausgaben und den fehlenden Investitionsmitteln der Bundesländer: „Das Krankenhausfinanzierungssystem muss durch ein neues Vergütungssystem ersetzt werden, das die Kosten der aus ärztlicher Sicht nötigen Versorgung der Patienten tatsächlich deckt. 

    Das Gesundheitssystem muss finanziell so ausgestattet sein, dass die Qualität der Versorgung der Patienten flächendeckend gesichert ist und die Gesundheit der Beschäftigten nicht mehr gefährdet wird. Die Bundesländer müssen den Kliniken die nötigen Investitionsmittel vollumfänglich zur Verfügung stellen.“

    Des Weiteren fordern die Delegierten von Arbeitgebern eine angemessene Personalausstattung. „Sie ist unabdingbare Voraussetzung für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten und Patienten sowie die Qualität der Patientenversorgung. Mit Hilfe einer Personalentwicklung muss dem Diktat der Ökonomie entgegengewirkt werden.

    Arbeitgeber müssen die medizinische Versorgung wieder in den Vordergrund stellen. Ärztinnen und Ärzte müssen von überbordenden administrativen Tätigkeiten entlastet werden. Aber auch durch tarifliche und betriebliche Regelungen - etwa zum Familienurlaub und zur Flexibilität bei der Arbeitszeitplanung - muss den durch die Ökonomisierung bedingten Eingriffen in das Privatleben der Beschäftigten Einhalt geboten werden.

    Auch viele Beschlüsse des Gemeinsamen Bundes Ausschusses (G-BA) stehen in der Kritik. „Diese haben zu erhöhtem Arbeits- und Verwaltungsaufwand geführt, der nicht der Patientenversorgung dient, sondern die Beschäftigten im Gesundheitswesen überlastet.“ 

    „Unsere Gesellschaft und die Arbeitgeber, aber auch wir Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, der durch die fortschreitende Ökonomie bedingten Überlastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen aktiv entgegen zu wirken und mehr Zeit am Patienten einzufordern“, betonen die Delegierten.

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    Beschluss Nr. 1

    der Hauptversammlung des Marburger Bundes - LV Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz am 22. September 2018

    Patienten brauchen Ärzte, keine Ökonomen

    Positionspapier des Marburger Bundes LV Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz

    Die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung, die in stationären Einrichtungen seit der Einführung des "DRG-Systems" im Jahr 2003 immer stärker fortschreitet, gefährdet die Gesundheit von Beschäftigten und Patienten.

    Patienten haben aber das Recht auf eine gute medizinische Versorgung jenseits ökonomischer Überlegungen. Nur gesunde Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten können ihren Patienten helfen. Direkte negative Folgen der fortschreitenden Ökonomisierung sind eine suboptimale Patientenversorgung, eine geringere Zufriedenheit der Patienten, ein verminderter Zugang zur Versorgung und erhöhte Gesundheitskosten.

    Die produktivitätsorientierte Vergütung des DRG-Systems lässt keine Zeit für Patienten außerhalb der ärztlichen Kernleistung. Sie erhöht zudem kontinuierlich die Anforderungen an die Dokumentation und Arbeitsplatzstruktur des Arztes. Auch die Budgetierung der Gesundheitsausgaben, fehlende Investitionsmittel der Bundesländer und viele Beschlüsse des G-BA haben nicht nur zu erhöhtem Arbeits- und Verwaltungsaufwand geführt, der nicht der Patientenversorgung dient und die Beschäftigten im Gesundheits-wesen überlastet. Ärzte werden täglich aufgefordert, Bettenbelegung unter ökonomischen Gesichtspunkten zu steuern. Zeit für Zuwendungsmedizin geht verloren.

    Unsere Gesellschaft und die Arbeitgeber, aber auch wir Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, der durch die fortschreitende Ökonomie bedingten Überlastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen aktiv entgegen zu wirken und mehr Zeit am Patienten einzufordern.

    Daher stellt die Hauptversammlung des Marburger Bundes Landesverband Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz folgende Forderungen:

    Der Marburger Bund fordert von der Politik:

    • Politik und Institutionen der Gesundheitspolitik müssen Regeln und Richtlinien so aufstellen, dass die übermäßige Verwaltungsarbeit reduziert wird. Regulatorische und dokumentarische Vorgaben müssen besser an die tatsächlichen Anforderungen der ärztlichen Tätigkeit in Kliniken angepasst werden.

    • Insbesondere die nun geplante Qualitätsorientierte Krankenhausplanung darf nicht zur weiteren Überlastung führen.

    • Das Gesundheitssystem muss finanziell so ausgestattet sein, dass die Qualität der Versorgung der Patienten flächendeckend gesichert ist und die Gesundheit der Beschäftigten nicht mehr gefährdet wird.

    • Das Krankenhausfinanzierungssystem muss durch ein neues Vergütungssystem er-setzt werden, das die Kosten der aus ärztlicher Sicht nötigen Versorgung der Patienten tatsächlich deckt. Die Bundesländer müssen den Kliniken die nötigen Investitionsmittel vollumfänglich zur Verfügung stellen.

    Der Marburger Bund fordert von den Arbeitgebern:

    • Die Arbeitgeber müssen sinnvolle Unterstützungssysteme für Beschäftigte im Gesundheitswesen etablieren. Dazu gehörten auch angemessene Übungsressourcen und Möglichkeiten, um das Tempo und den Umfang der Arbeit zu steuern.

    • Technologische Innovationen müssen dazu beitragen, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren.

    • Eine angemessene Personalausstattung ist unabdingbare Voraussetzung für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten und Patienten sowie der Qualität der Patientenversorgung.

    • Durch die Vereinbarung und Einhaltung tariflicher und betrieblicher Regelungen - etwa zum Familienurlaub und zur Flexibilität bei der Arbeitszeitplanung - muss den durch die Ökonomisierung bedingten Eingriffen in das Privatleben der Beschäftigten Einhalt geboten werden.

    • Ärztinnen und Ärzte müssen von überbordenden administrativen Tätigkeiten entlastet werden.

    • Arbeitgeber müssen die medizinische Versorgung wieder in den Vordergrund stellen. Mit Hilfe einer Personalentwicklung muss dem Diktat der Ökonomie entgegen-gewirkt werden.

    • Arbeitgeber müssen die Patientenversorgung optimieren, indem sie Ärzte und andere Teammitglieder in die Lage versetzten, die Arbeit zu verrichten, für die sie speziell ausgebildet und nicht durch die der Ökonomie geschuldete Tätigkeiten von der Patientenversorgung ferngehalten werden.

    • Die interprofessionelle Zusammenarbeit, die unter dem ökonomischen Druck zur-zeit verhindert wird, muss intensiviert werden, etwa durch Personalmodelle, Initiativen zur Prozessverbesserung, Reduzierung der Arbeitsbelastung und Steuerung der Arbeitsintensität.

    Der Marburger Bund fordert von der Ärzteschaft:

    • Ihre besondere Rolle im Gesundheitswesen selbstbewusst wahrzunehmen und sich gegen Fehlentwicklungen im Interesse ihrer eigenen Gesundheit, der von ihren Patienten und aller Beschäftigten zu wehren.

    • Ihr ärztliches Handeln stets am Wohl des Patienten auszurichten. Dies hat gegen-über ökonomischen Überlegungen absoluten Vorrang.

    • Mehr Zuwendungszeit für Ihre Patienten betrieblich und politisch einzufordern.

    • Der eigenen Gesundheit aber auch sämtlicher Mitarbeiter eine höhere Priorität einzuräumen.

    • Als Führungskräfte die Möglichkeiten zur sozialen Vernetzung und gemeinsamen Entscheidungsfindung zu fördern, umso mehr gemeinsames Engagement in Kliniken aufzubauen und die Grundlage für eine gesündere Belegschaft zu entwickeln, die eine hohe qualitative Patientenversorgung ermöglicht.

    • Die Patientenversorgung zu optimieren, indem sie Ärzte und andere Teammitglieder in die Lage versetzten, die Arbeit zu verrichten, für die sie speziell ausgebildet sind.

     

    Literatur:

    „Nur Gesunde Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten können ihren Patienten am besten dienen. Eine sinnhafte Arbeit, gute Beziehungen zu den Patienten, positive Teamstrukturen und soziale Bindungen am Arbeitsplatz sind wichtige Faktoren für das Wohlbefinden der Ärzte. Allerdings seien Probleme wie Unzufriedenheit, Burnout-Symptome, „relativ hohe Depressionsraten“ und ein erhöhtes Selbstmordrisiko für Ärzte weit verbreitet. „Diese Probleme sind mit suboptimaler Patientenversorgung, geringerer Patienten Zufriedenheit, vermindertem Zugang zur Versorgung und erhöhten Gesundheitskosten verbunden.“ (JAMA 2018; doi: 10.1001/jama.2018.1331).

     

    Beschluss Nr. 2

    der Hauptversammlung des Marburger Bundes - LV Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz am 22. September 2018

    Patienten brauchen Ärzte - keine Ökonomen

    Der Marburger Bund Landesverband Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz fordert insbesondere die Entscheidungsträger im Bund und in den Ländern auf, zukünftig bei allen gesetzgeberischen Maßnahmen im Gesundheitswesen das Primat einer unabhängigen ärztlichen Entscheidung (Freier Beruf) in den Vordergrund zu stellen.

    Bund und Länder werden aufgefordert sich nicht aus ihrer Verantwortung zur Daseinsfürsorge zu entziehen und daher aufgefordert der industrialisierten und merkantilisierten Gesundheitsversorgung gesetzgeberisch Einhalt zu gebieten.

    Insbesondere mit Blick auf die Krankenhausfinanzierung ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Krankenhausfinanzierung sowohl im investiven Bereich, als auch hinsichtlich der Betriebskosten, muss um alle wirtschaftlichen Anreize bereinigt werden, um einer Gewinnmaximierung insbesondere durch private, kommerzielle Investoren Einhalt zu gebieten. Dies kann durch die verstärkte Wiedereinführung von z. B. Kostenerstattungsgrundsätzen erfolgen. Die Ersetzung tagesgleicher Pflegesätze durch eine fallbezogene Vergütung der Krankenhäuser hätte schon Mitte der 90er Jahre nicht zwingend mit der Schaffung der Möglichkeit von Gewinnmaximierung einhergehen müssen.

    Der Marburger Bund kritisiert mit Nachdruck, dass die ambulante wie stationäre ärztliche Versorgung der Bevölkerung primär durch ökonomische Vorgaben geprägt und die Freiheit der ärztlichen Entscheidung in Diagnostik und Therapie weiter in den Hintergrund gedrängt wird.

    Beschluss Nr. 3

    der Hauptversammlung des Marburger Bundes - LV Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz am 22. September 2018

    Finanzinvestoren kaufen immer mehr Praxen auf - schleichende Industrialisierung gefährdet medizinische Versorgung

    Der Marburger Bund Nordrhein-Westfalen-Rheinland-Pfalz warnt vor der schleichend fortschreitenden Industrialisierung des deutschen Gesundheitswesens. Kliniken und Praxen dürfen nicht zu Rendite- oder Spekulationsobjekten verkommen. Renditebestrebungen sind im Gesundheitswesen ethisch nicht verantwortbar.

    Der Marburger Bund fordert die Gesetzgeber in Land und Bund auf, mit Hilfe von Ergänzungen des Heilberufsgesetzes und des Sozialgesetzbuches V diese kommerzielle Entwicklung und Monopolisierung umgehend zu stoppen. Seit einigen Jahren ist die verstärkte Bildung großer Praxisketten, die teils von Kollegen, aber auch immer häufiger von gewerblichen Investoren gegründet werden, zu beobachten. Diese Entwicklung gilt es umzukehren oder zumindest aufzuhalten.

    Mit Praxisketten werden aus einem solidarisch finanzierten Krankenversicherungssystem beträchtliche Finanzvolumina als Gewinne abgeschöpft. Versichertenbeiträge werden von Investoren so massiv entnommen, dass die Beiträge letztendlich erhöht werden müssen. Am Ende werden nicht nur die Kosten des Gesundheitssystems erheblich steigen, sondern auch die gewohnte Versorgungsqualität sinken.

    Was bei Radiologen, Laboren und mit Dialysezentren begann, ist längst von Kapitalgebern und Klinikketten der Pharmaindustrie auch schon auf andere medizinische Fächer wie die der Augenärzte, HNO-Ärzte und Orthopäden ausgeweitet worden. Hier entstehen Praxisketten, die mittlerweile auch die nötigen Zuweiserpraxen aufkaufen, um so ihre Rendite und Profitabilität noch weiter zu erhöhen. Große Klinikketten wie Helios haben hierzu bereits einen eigenständigen Geschäftsbereich eingerichtet.